Ikea unterwirft sich Saudi-Arabiens frauenfeindlichen Normen - und wird zur Metapher für den zwiespältigen Umgang des Westens mit fremden Werten.
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Man kann es natürlich in erster Linie skurril und komisch finden, wenn der schwedische Ikea-Konzern in seinen Katalogen für den saudi-arabischen Markt neuerdings Frauen aus den Fotos seiner schmucken Küchen und Badezimmer per digitaler Bildbearbeitung einfach verschwinden lässt; gerade so wie in der UdSSR einst in Ungnade gefallene Politiker spurlos aus offiziellen Gruppenbildern getilgt wurden.
Doch die amüsante Episode der vom schwedischen Elch zu entfernten Frauen wirft eine grundsätzliche Frage auf, deren Bedeutung über den Anlassfall hinaus reicht: jene nach der Grenze zwischen dem absolut notwendigen und wünschenswerten Respekt vor den Werten anderer Kulturen - und sei es auch eine radikal islamistische Kultur wie jene der Saudis - und dem Verteidigen eigener, unveräußerlicher Werte wie etwa der Gleichwertigkeit von Mann und Frau, die ja gerade in Schweden besonders hochgehalten wird.
Dass Ikea sich den durch und durch frauenverachtenden Normen der saudischen Gesellschaft gleichsam vorbeugend unterwirft, nur um ein paar Küchen mehr zu verkaufen, geht ganz eindeutig weit über den gebotenen Respekt vor fremden Kulturen hinaus. Hier stellt vielmehr ein Unternehmen in Wahrheit zumindest indirekt jene Werte zur Disposition, die nicht zur Disposition stehen dürfen; auch nicht um den Preis höherer Gewinne.
(Es spricht freilich durchaus für Ikea, dass der Konzern den Fehler mittlerweile offen einbekannt und konzediert hat, hier "nicht im Einklang mit den Werten der Ikea-Gruppe gehandelt zu haben". Man kann also das knuddelige Klippan-Sofa getrost auch künftig ohne sittliche Bedenken erwerben.)
Der Fall wäre freilich nicht weiter der Rede wert, wäre er nicht so typisch für eine im Westen bei Staaten wie Unternehmen weit verbreitete zwiespältige Haltung der islamischen Welt gegenüber, die zwischen zwei problematischen Positionen schwankt: einerseits überhebliche, postkoloniale Besserwisserei und andererseits voreilige Preisgabe eigener Grundsätze, nur um die teils recht übermäßig dimensionierten Empfindlichkeiten dieses Milieus nicht zu provozieren. Einmal legt der Westen der islamischen Welt unser Demokratieverständnis als das einzig seligmachende recht selbstbewusst nahe, dann wieder knickt er unter dem Druck eines islamistischen Mobs selbst bei so zentralen Werten wie der Meinungsfreiheit ohne Not ein, wie bei den Mohammed-Karikaturen (oder eben beim Ikea-Katalog). Beides erscheint im Umgang mit der islamischen Welt höchst unangemessen und wird auch nirgendwo hinführen.
Stattdessen wäre endlich ein selbstbewusst-entspannter Umgang westlicher Staaten und Unternehmen mit der islamischen Welt wünschenswert, der sowohl die zentralen Werte der westlichen Kultur wie Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung der Geschlechter und Religionsfreiheit ohne jeden Kompromiss und ohne jedes Einknicken verteidigt - aber gleichzeitig auch Respekt davor zeigt, dass die islamische Bevölkerung eben in vielen Aspekten Werte vertritt, die unseren diametral entgegengesetzt sind.
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