Mario Draghi, Chef der EZB, vertröstet die Märkte: Die Zinsen bleiben noch lange bei null.
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Frankfurt. "Wir erwarten, dass die Zinsen noch lange auf dem Niveau bleiben - und zwar weit über den Zeithorizont unseres Anleihenkaufprogramms hinaus", eröffnet Mario Draghi die Pressekonferenz. Klingt verblümt und kompliziert. Aber der gelernte Beobachter der Europäischen Zentralbank (EZB) weiß sofort, was EZB-Chef Mario Draghi mit dem verbrämten Satz meint, den er übrigens im Laufe der Präsentation noch dreimal wiederholen wird. Die Zinssätze bleiben gleich. Und zwar noch lange. Das bedeutet, der Zinssatz für Hauptrefinanzierungsgeschäfte bleibt auf dem historischen Tief von 0,00 Prozent. Der für Spitzenfinanzierungsfazilitäten bleibt bei 0,25 Prozent. Und der Strafzins für Einlagen von Banken bleibt bei minus 0,40 Prozent. Noch lange. Aber wie lange noch? "Bis weit über den Zeithorizont unseres Anleihenkaufprogramms", wiederholt Draghi mechanisch.
Nun weiß der Beobachter: Das Anleihenkaufprogramm läuft geplanterweise bis Ende Dezember 2017. Noch vier Monate wird es also die geldpolitischen Sondermaßnahmen im Ausmaß von 60 Milliarden Euro geben, mit denen die EZB Anleihen kauft, um den wirtschaftlichen Kreislauf des Euroraums in Schwung zu bringen.
"Verbotene Staatsfinanzierung!", heißt es von den Skeptikern, die vor allem aus Deutschland kommen: Denn die EZB kaufe so auch Anleihen von Ländern, die sonst vielleicht Schwierigkeiten hätten.
"Europa versinkt demnächst in der Inflation!", heißt es von anderen Kritikern, die in der kontinuierlichen Ausweitung der Geldmenge die nächste große Blase sehen, deren Zerplatzen die Wirtschaft in die nächste große Krise stürzt. Alles nur, weil sich Draghi nicht dazu entscheiden könne, die geldpolitischen Sondermaßnahmen endlich zu kappen.
Deutsche Angst als Lehnwort
Er verstehe nicht, sagt ein Journalist aus Deutschland: Die volkswirtschaftlichen Parameter entwickeln sich doch gut. Wieso brauche es also weiter solche Sondermaßnahmen, die doch eine Gefahr darstellen, uns wieder an den Rand eines Abgrundes zu bringen.
Draghi hat mit dieser Frage gerechnet. Scharf weist er den Journalisten zurecht: "Bis jetzt haben alle Länder von unseren geldpolitischen Maßnahmen sehr stark profitiert", sagt Draghi und betont Worte wie "alle Länder" und "sehr stark profitiert". Diese Angst habe keine Grundlage, die sie rechtfertigen würde. Auch diesen Satz wiederholt Draghi, beim zweiten Mal sagt er das Wort "Angst" sogar auf Deutsch, als wäre es ein Lehnwort im Englischen so wie "Zeitgeist" - die Pressekonferenz ist selbstverständlich insgesamt auf Englisch gehalten.
Aber wieso behält Draghi denn nun die geldpolitischen Maßnahmen auf dem derzeitigen Niveau, wo sich doch die Wirtschaft besser entwickelt als gedacht, wie er doch selbst sagt?
"Haben ein einziges Mandat"
"Wir haben im Unterschied zur Fed nur ein einziges Mandat", erklärt Draghi. Während sich die US-amerikanischen Kollegen auch mit dem Arbeitsmarkt befassen müssen oder dürfen, hat die EZB nur die Aufgabe, die Preisstabilität in der Eurozone zu wahren. Sprich die Inflation auf jenem Niveau zu halten, das von der EZB als stabil angesehen wird: knapp unter zwei Prozent. Doch dort ist die Inflation derzeit nicht. Deswegen werden die Maßnahmen der EZB laut Draghi weiter laufen. Aber, räumt er ein, er und der EZB-Rat gehen davon aus, dass bei der derzeitigen positiven wirtschaftlichen Entwicklung es wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit sei, bis die Inflation wieder auf jener Höhe ist, auf der sie die EZB gerne haben möchte. Man "muss Geduld haben".
"Die jüngsten Schwankungen beim Wechselkurs sind eine Quelle der Unsicherheit", sagt Draghi. "Der Wechselkurs ist wichtig für das Wachstum und die Inflation." Die Notenbank müsse die Bewegungen im Blick halten und den Einfluss auf die Preisstabilität beobachten.
Seit Jahresanfang hat der Euro vor allem gegenüber dem US-Dollar aufgewertet. In der vergangenen Woche kletterte die europäische Gemeinschaftswährung erstmals seit gut zweieinhalb Jahren über die Marke von 1,20 Dollar.
Das Erstarken des Euro verteuert Produkte europäischer Firmen auf den Weltmärkten tendenziell. Das könnte in der Folge die Exporte aus dem Euroraum und damit das hiesige Wirtschaftswachstum dämpfen. Zugleich werden Einfuhren aus anderen Währungsräumen günstiger, was die Inflation drückt.
Damit wird es für die EZB wieder schwieriger, ihr Ziel einer Teuerungsrate von knapp unter 2,0 Prozent zu erreichen. Für das kommende Jahr prognostizierte die EZB eine Inflation von 1,2 Prozent sowie 1,5 Prozent im Jahr 2019. Zuletzt war sie von einer Teuerungsrate von 1,3 Prozent und 1,6 Prozent ausgegangen.
Das große Rätsel, das bleibt, ist aber: Was kommt nach Dezember 2017 in Sachen Anleihenkaufprogramm? Er habe keine Probleme, auch im nächsten Jahr um monatlich 60 Milliarden Euro Anleihen zu kaufen, "wenn es notwendig sein sollte", versichert Draghi.
Doch mehrheitlich wird davon ausgegangen, dass es zu einem Auslaufen des Programmes kommen wird.
Was danach kommt, ist allerdings ab jetzt Gegenstand der Arbeit von Kleingruppen, Komitees, erklärt Draghi. Denn es handle sich ja um eine Vielzahl von "komplexen Themen". Bei der jetzt zu Ende gegangenen zweitägigen Sitzung des EZB-Rates seien vor allem Fragen zum Auslaufen des Programmes aufgeworfen worden, aber in der Sache sei noch nichts besprochen worden. Er nehme jedoch an, dass im Oktober die meisten Entscheidungen zu dem Thema fallen werden.