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Alle Kräfte in der Türkei seien gefordert, besonnen zu reagieren, meint Außenminister Kurz zur Lage in der Türkei.
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Nach dem versuchten Militärputsch in der Türkei ruft Österreichs Außenminister Sebastian Kurz zur Besonnenheit auf. Über Gerüchte, bestimmte Gruppen hätten im Hintergrund die Fäden gezogen, möchte er sich nicht äußern.
Ist der Putschversuch für Sie überraschend gekommen oder gab es Vorzeichen?
Wir alle wissen, dass es auch wegen des teilweise sehr autoritären Führungsstils von Präsident Recep Tayyip Erdogan immer wieder Widerstände nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Türkei gibt. Allerdings war mit einem so organisierten Militärputschversuch definitiv nicht zu rechnen. Ich will auch klar festhalten, dass ein Militärputsch, bei dem Menschen zu Tode kommen, definitiv nicht zu rechtfertigen ist. Es sind aus meiner Sicht jetzt alle Kräfte in der Türkei gefordert, besonnen zu reagieren, Menschenrechte zu schützen und Rechtsstaat und Demokratie zu achten.
Ist der Putsch und seine Niederschlagung eine Freikarte für die Einführung eines Präsidialsystems, wie von Erdogan angestrebt? Ist er nun gestärkt, um das politische System zu seinen Gunsten umzubauen?
Ich glaube, dass es absolut falsch wäre, wenn dieser Putsch als Anlass gesehen wird, um willkürlich oder nicht rechtsstaatlich zu agieren. Gerade jetzt sollten alle Kräfte in der Türkei besonnen agieren. Dass alle, nicht nur die Regierung, sondern auch die Opposition, diesen Putsch verurteilt haben, sollte für alle ein Anlass sein, um in die Demokratie und in den Rechtsstaat zu vertrauen. Wir brauchen gerade in der Türkei eine Regierung des Rechts.
Europa liegt viel an einer stabilen Türkei, damit wir einen zuverlässigen Verhandlungspartner in der Region haben. Was bedeutet die Lage in der Türkei für die EU?
Nicht nur die Geschehnisse in der Türkei, sondern auch Radikalisierung und Terror mitten in Europa und zuvor der Ukrainekonflikt haben uns in Europa schockiert. Diese Geschehnisse haben eine gewisse Zäsur eingeleitet. Wir alle waren in den letzten Jahrzehnten an so etwas wie absolute Sicherheit gewohnt, zumindest gefühlt. Die Entwicklungen der letzten Jahre bedeuten ein Mehr an Instabilität und Unsicherheit für Europa. Das kann aus meiner Sicht für uns ein Auftrag sein, unseren Rechtsstaat, unser Demokratieverständnis und unseren Lebensstil umso entschlossener zu verteidigen. Wenn wir hier zusammenrücken, werden wir gemeinsam stärker sein als diese Bedrohungen und Entwicklungen, die wir hier in den letzten Jahren erleben müssen.
Die EU hat sich aber seit dem Deal mit der Türkei in der Flüchtlingskrise mit Kritik am zunehmend autoritär agierenden Erdogan zurückgehalten. Heißt das jetzt, dass wir nun strenger sein müssen?
Wir müssen immer klar reagieren, wenn Menschenrechte oder Rechtsstaat und Demokratie in Gefahr sind. Wegzusehen wenn es Fehlentwicklungen gibt, kann niemals zu unserem Vorteil in Europa sein, sondern führt meist dazu, dass die Entwicklungen immer schlimmer werden und am Ende Destabilität ausbricht, unter der wir in Europa zu leiden haben. Insofern muss immer unser Grundsatz sein, dass wir unabhängig von unseren Interessen klar sind, wenn es darum geht, die Achtung der Menschenrechte, aber auch eine demokratische und rechtsstaatliche Ordnung einzufordern.
Eine Forderung der EU im Austausch für die Visafreiheit für Türken ist die Änderung des Anti-Terror-Gesetzes. Wie wahrscheinlich ist es, dass Erdogan nun noch darauf eingeht?
Der Militärputsch ist klar zu verurteilen, es braucht aber zugleich besonnenes Agieren in dieser Phase. Der Kampf gegen den Terror ist nicht nur notwendig, sondern auch zu hundert Prozent zu unterstützen. Genauso wichtig ist es aber, Demokratie, Meinungsfreiheit und Medienvielfalt zu schützen.
Wird sich die Situation in der Türkei auf die EU auswirken und auf den Flüchtlingspakt?
Die Beziehung zu Europa hat sich dadurch nicht verändert. Wir müssen die Geschehnisse in der Türkei abwarten, um die Situation abschließend analysieren zu können. Es wird dazu am Montag ein Treffen der EU-Außenminister geben. Da wird es wesentlich klarer sein als wenige Stunden nach dem Putschversuch.
Wie wird es in der Türkei weitergehen?
Laut offiziellen Angaben der Behörden gab es mehr als 160 Tote, mehr als 1400 Verwundete und tausende Verhaftungen. Laut türkischer Regierung ist der Putschversuch vereitelt worden. Wir wissen von unserer Botschaft, dass es nach wie vor zu Gefechten in Ankara und Istanbul kommt, den beiden Hotspots des Putschversuchs. Wir haben derzeit keine Indizien dafür, dass Österreicher getötet oder verwundet wurden. Viele sind allerdings von Straßensperren und der Sperrung des Luftraums betroffen. Wir sind dabei, Krisenunterstützungsteams nach Istanbul und Ankara zu entsenden und haben den Bereitschaftsdienst im Außenministerium aufgestockt, um die bis zu 10.000 Österreicher, die sich derzeit in der Türkei befinden, zu unterstützen. Ich kann sie nur dazu aufrufen, ihre Hotels oder Häuser nicht zu verlassen, bis die Situation entschärft ist und Kontakt mit dem österreichischen Außenministerium zu halten bzw. österreichischen Medien zu folgen.
Rechnen Sie damit, dass eine gewisse Zahl an Türken das Land verlassen werden, weil sie Repressionen fürchten?
Wir haben derzeit keine Indizien dafür. Auch nicht, dass der Putsch von breiten Teilen der Bevölkerung getragen worden wäre. Unseren Informationen zufolge war es ein Putschversuch von Teilen des Militärs. Welche Gruppen im Hintergrund die Verantwortung dafür tragen, auf diese Spekulationen möchte ich mich nicht einlassen, weil es dazu nur Angaben der türkischen Regierung gibt, aber keine gesicherten Informationen.