Bei der Implementierung des Abkommens zum Nordkosovo sieht Ivan Mrkic noch Hindernisse.
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Nach dem Beitritt Kroatiens Anfang Juli macht der nächste Kandidat vom Balkan Schritte in Richtung EU-Mitgliedschaft: Serbien. Die EU beschloss Ende Juni, mit dem Land Beitrittsgespräche bis "spätestens Ende Jänner 2014" aufzunehmen. Vorausgesetzt, das unter Schirmherrschaft der EU im April erzielte Abkommen Serbiens und des Kosovo, das den Konflikt um den mehrheitlich von Serben bewohnten Nordkosovo lösen soll, wird umgesetzt. Die "Wiener Zeitung" sprach mit dem serbischen Außenminister Ivan Mrkic anlässlich seines Besuches bei der OSZE in Wien (Serbien übernimmt 2015 den OSZE-Vorsitz) über den außenpolitischen Turnaround Serbiens, die Verhandlungen und Entspannung mit dem ehemaligen Kriegspartner Kosovo und das heutige Verhältnis zwischen Serben und Kosovo-Albanern.
"Wiener Zeitung": Die letzten Wochen sind für Serbien gut verlaufen, die lang ersehnten EU-Beitrittsgespräche sollen spätestens Jänner 2014 beginnen. Kennen Sie schon den Text der Europahymne?Ivan Mrkic: (lacht) Im Jahr 1990 war ich - damals noch für Jugoslawien - für zwei Jahre in Brüssel stationiert. Ich kenne also die Hymne, ich kenne die Ziele der EU, die Prinzipien, Moral und Mentalität der Gemeinschaft. Aber natürlich sind wir hocherfreut von der letzten EU-Ratsentscheidung. Diese sehen wir mit Erleichterung, aber auch mit einem Gefühl, dass wir es nach den vielen Jahren der Anstrengungen verdient haben - besonders nach dem letzten Jahr, in dem wir das Ruder herumreißen konnten und einige Deals vor allem mit den unmittelbaren Nachbarländern Serbiens gemacht haben.
Wir waren von Anfang an der Idee ergeben, alle schlimmen Sachen hinter uns zu lassen. Genauso, wie es die Deutschen oder Franzosen nach dem Zweiten Weltkrieg taten. Wir hatten plötzlich realisiert, dass wir nach zwanzig Jahren des Bürgerkriegs, der leider im ehemaligen Jugoslawien geführt wurde, nicht weitergekommen sind. Und wir haben uns selbst gefragt: Sind wir blöd oder was?
Wir müssen uns also bewegen, und zwar in eine gute Richtung. Wir haben begonnen, mit allen zu kommunizieren und eine offene Beziehung zu schaffen. Das hat uns geholfen, gute Ergebnisse zu erzielen. Ich habe jetzt mit Ihnen nur meine innersten Gedanken geteilt. Es ist nicht sehr bescheiden, sich selbst Komplimente zu machen. Aber wir denken wirklich, dass wir einen guten Job gemacht haben. Und der wird auch von anderen geschätzt.
Sehen Sie noch Hindernisse für den EU-Beitritt?
Keine konkreten. Manche Hindernisse gibt es, weil sie von existierenden, objektiven Gegebenheiten in und um die EU kreiert wurden. Aber spezifische Hindernisse als solche sehe ich für Serbien nicht. Wir haben gezeigt, dass wir mit allen gute Beziehungen haben wollen, nicht nur in der Region. Wir haben zudem ernsthafte Reformen innerhalb Serbiens durchgeführt und in manchen Sektoren sehr große Fortschritte gemacht. Und wir glauben, dass in den nächsten Jahren unsere Marschrichtung zunehmend anerkannt und belohnt wird. Aber ich würde nicht vorhersagen, wann Serbien die Genehmigung oder was auch immer bekommen wird. Hier geht es auch nicht um Schnelligkeit, sondern darum, qualitative Reformen voranzutreiben, von denen auch das eigene Land profitiert. Wenn man das alles tut, wird das bemerkt, und alle weiteren Entscheidungen werden ermöglicht.
Sehen Sie Hindernisse in Bezug auf die Implementierung des Brüsseler Abkommens mit dem Kosovo?
Ja. Da wird es Hindernisse geben. Es ist keine einfache Sache, etwas in die Tat umzusetzen, das vor ein paar Monaten, um nicht zu sagen, vor ein, zwei Jahren, noch fast unvorstellbar war. Das ist alles ein sehr dynamischer Prozess. Und manchmal ist die Implementierung schwieriger, als eine Übereinkunft zu Maßnahmen zu erzielen. Aber das Wohlwollen ist jetzt auf beiden Seiten vorhanden. Wir kamen so weit, dass wir nun über Formsachen reden. Wir werden nicht für jedes kleine Detail in einer einzigen Minute eine Übereinstimmung finden, aber wir machen gute Fortschritte und nähern uns der finalen Einigung zur Implementierung. Ich sehe die komplette Umsetzung des Brüsseler Abkommens Ende dieses Jahres.
Vor kurzem sind der serbische Premier Ivan Dacic und der kosovarische Premier, Hashim Thaci, in Göttweig aufeinandergetroffen. Die Stimmung war gut, sie lachten viel miteinander.
Naja, mittlerweile kommunizieren sie täglich miteinander, sie haben sich aneinander gewöhnt (lacht). Das ist natürlich teilweise ein Witz von mir. Aber es fällt ihnen in der Tat leicht, sich zu arrangieren, denn beide sind davon überzeugt, dass dies der einzige Weg für Fortschritt ist. Sie haben sich schon oft getroffen und werden sich auch in der Zukunft noch viel sehen, das nächste Mal am 8. Juli.
Bisher waren fanden diese Treffen hauptsächlich unter der Schirmherrschaft der EU statt. Könnte man schon auf bilateraler Ebene verhandeln?
Ja, das könnte man. Aber wir hätten das alles nicht ohne die EU und ohne Cathy Ashton (Catherine Ashton ist Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Anm.) erreicht. Sie war überaus hilfreich bei dem Prozess, sehr freundlich, hingebungsvoll, fachkundig, geduldig und beharrlich. Sie war auch eine Notwendigkeit, um den Prozess zu starten. Aber jetzt mit der Zeit wird sie definitiv nicht mehr in diesem Ausmaß benötigt werden, wie es am Anfang der Fall war. Vor zwei Tage etwa habe ich mit Enver Hoxhaj gesprochen, dem Außenminister (macht mit den Fingern Anführungszeichen in der Luft, Anm.) Kosovos, wie wir ihn nennen. Ich habe mit ihm ohne Mittler geredet.
Haben Sie seine Handynummer?
Ja, habe ich. Und er hat meine. Das ist mittlerweile nicht mehr unüblich, und das ist der Punkt.
Auf politischer Ebene ist die Annäherung zwischen Serben und Kosovaren sehr weit fortgeschritten. Wie geht es den Menschen der Länder?
Das ist die wichtigste Dimension überhaupt. Ich will, dass jeder versteht: Wir, also Belgrad, wünscht sich, dass die Implementierung (des Brüsseler Abkommens, Anm.) schnell durchgeführt und vollendet wird. Denn: Wir sind uns all derer bewusst, die uns beobachten und des politischen Kerns dieses Prozesses. Andererseits war die serbische Community im Kosovo in den vergangenen 14 Jahren gezwungen, ein sehr spezifisches, ungewöhnliches Leben zu führen. Sie müssen sich also anpassen. Man kann nicht dorthin fahren und sie von heute auf morgen zu einem Umdenken bewegen, nur weil man einen Befehl ausspricht. Hier ist Zeit nötig.
Man muss sehr zärtlich und vorsichtig sein, wenn man die Ideen und Philosophie des Grundsatzabkommens promotet. Denn die Serben im Kosovo müssen es mit ihrem ganzen Herzen akzeptieren, da sie es sind, die es umsetzen müssen. Wir, die Serben aus Belgrad, haben etwa keine Polizeieinheiten im Kosovo und etwas zu diktieren, ist unmöglich. Wir müssen uns also auf unsere Brüder und Schwestern im Kosovo verlassen und sie müssen das neue Abkommen aufrichtig annehmen.
Vergebung ist eine Vorbedingung für Aussöhnung. Haben Ihrer Meinung nach Serben und Kosovo-Albaner einander schon vergeben?
Nein, definitiv nicht. Aber sie sind am Weg dazu. Das hängt von der Bereitschaft und dem tatsächlichen Willen aller Seiten ab, aber vor allem von der Mehrheitsbevölkerung im Kosovo. Sie müssen ihren Goodwill beweisen und Vertrauenszeichen setzen.
Kurz- und längerfristig wird das Wichtigste sein, dass beide Seiten die Atmosphäre schaffen, die in der Vergangenheit über Jahrzehnte zwischen der serbischen und albanischen Nation existierte. Sie werden das verlorene Vertrauen und die früheren Freundschaften wiederherstellen. Einhergehend mit der Implementierung des Abkommens sind ein paar Gesten sehr willkommen. Ich zähle auf die albanische Seite, hier kreativer zu sein als wir, denn die Serben, die im Kosovo leben, sind die Minderheit.
Serbien wird 2015 den OSZE-Vorsitz innehaben. Werden wir den Kosovo zur OSZE beitreten sehen unter serbischem Vorsitz?
Nein, nein. Da bin ich sehr offen mit Ihnen: Das steht einfach außer Frage. Und das wissen alle EU-Mitgliedsländer. Wenn wir das alles hier machen (die Annäherung an den Kosovo, Anm.), heißt das nicht, dass wir dabei sind, den Kosovo anzuerkennen. Das ist einfach gegen die Bestimmungen unserer eigenen Verfassung. Und das Land, das seine eigene Verfassung nicht respektiert ...
Aber eine Verfassung kann doch geändert werden.
Eines Tages, vielleicht. Aber zurzeit ist es wirklich verfrüht, darüber zu sprechen.
Sie haben im Winter kaum mit Journalisten gesprochen, bekamen den Beinamen "der unsichtbare Minister". Wieso?
Weil ich Karrierediplomat bin und zu keiner Partei gehöre. Ich bin also kein Politiker. Ich versuche, so viel wie möglich mit ausländischen Journalisten zu reden, nicht mit einheimischen. Deswegen haben sie irgendwann angefangen zu sagen, ich wäre nicht verfügbar. Es ist also teilweise schon wahr. Nun könnte ich täglich fünf Interviews geben, aber wenn man mal einen Spitznamen hat, wird man ihn nicht mehr los.
Welche Rolle kann Österreich am Balkan spielen?
Eine sehr große. Österreich war immer ein Freund und weiß auch aufgrund seiner Geschichte mehr über die Region und Serbien, als die anderen Länder.
Zur Person
Ivan Mrkic,
geboren 1953 in Belgrad, studierter Jurist, ist Diplomat und seit Juli 2012 serbischer Außenminister in der Regierung von Ministerpräsident Ivica Dacic. Davor war Mrkic von 2006 bis 2011 Serbiens Botschafter in Japan.