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Ehe Dominic Thiem um fünf vor zwölf australischer Zeit - also um Mitternacht - seinen Semifinaleinzug bei den Australian Open bejubeln durfte, war buchstäblich Zittern angesagt. Denn den Sieg gegen die Nummer eins der Welt, Rafael Nadal, vor Augen, kämpfte der 26-Jährige plötzlich mit einem Zitterhändchen und schien Faden wie Spiel wieder zu verlieren. Zuerst, als er im vierten Satz bei 5:4-Führung auf das Match servierte - und scheiterte; und kurz danach, als er im Tiebreak zwei Matchbälle ausließ. Unweigerlich kamen einem da die Worte seines Kurzzeit-Co-Coaches Thomas Muster in den Sinn, der nach der etwas ungeordneten Trennung in Down Under gemeint hatte, Thiem habe in einigen Dingen noch Aufholbedarf, "vor allem im mentalen Bereich".
Seit Mittwoch wissen wir, dass das nicht stimmt. Denn kaum ein Gegner ist so schwer zu biegen wie der 19-fache Grand-Slam-Champion aus Mallorca - jeder Punkt muss zwei Mal und fast immer mit voller Wucht gemacht werden. Wer nicht auf Augenhöhe mit der Mentalität Nadals ist, ist unweigerlich dem Untergang geweiht. Dass Thiem alle seine drei Satzgewinne im Tiebreak - vergleichbar mit dem Nerventhriller Elfmeterschießen - machte, beweist nur zusätzlich seine mentale Festigkeit. Die ihm dann auch in der Entscheidung trotz der genannten zwei Rückschläge zum Sieg verholfen hat. Obwohl, wie er nachher im Interview bekannte, "da der Kopf ordentlich ratterte". Dieses Rattern hat vielen hochveranlagten Epigonen Musters zu schaffen gemacht und (noch) größere Karrieren verhindert - siehe Jürgen Melzer, Stefan Koubek, Markus Hipfl. Thiem ist ganz offensichtlich aus einem anderen Holz geschnitzt. Weil er auch fähig ist, aus solchen Spielsituationen, die ihn früher scheitern ließen, zu lernen. Und das ist besser als jeder Mentalcoach.