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"Mut zur Systemveränderung"

Von Bettina Figl

Politik
Helga Fasching fordert mehr Maßnahmen für Frauen mit Behinderung.

Bei UN-Konvention bis heute nichts geschehen. | Expertin fordert eine Schule für alle.


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Wien. Vor drei Jahren hat sich Österreich per UN-Konvention dazu verpflichtet, Kinder nicht aufgrund ihrer Behinderung vom Schulbesuch auszuschließen. Seitdem sei nichts geschehen, kritisiert der Monitoring-Ausschuss, der die Umsetzung der Konvention überwacht: Noch immer sind 48 Prozent der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF, siehe Wissen) in Sonderschulen. Der Ausschuss fordert die Abschaffung von Sonderschulen. Assistenzprofessorin Helga Fasching von der Uni Wien befasst sich mit der Situation von Menschen mit Behinderung in Schule, Ausbildung und Beruf. Mit der "Wiener Zeitung" sprach sie über die Gefahren bei der Umsetzung eines inklusiven Schulsystems, die Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt und warum Frauen mit Behinderung die Verliererinnen sind.

"Wiener Zeitung":Hat man nicht die Wahl zwischen Regelschule und Sonderschule?

Helga Fasching: Ja. Aber das Wahlrecht mündet oft in der Sonderschule. Hätten wir das inklusive Schulsystem, müssten Eltern nicht entscheiden. Österreich ist jetzt gefordert, inklusive Maßnahmen zu setzen.

Was ist das Ziel der Gespräche zur UN-Konvention, die jetzt erst gestartet sind?

Inklusion in die allgemeine Lehrerbildung zu bringen. Wir haben bis 2017 Zeit, das muss nicht morgen passieren.



Haben Sonderschulen nicht auch Vorteile, beispielsweise Konzentration auf die Schüler mit Behinderung?

Solange die Rahmenbedingungen für die Inklusion nicht passen, wäre es gefährlich sie umzusetzen. Wir brauchen Mut zur Systemveränderung. Statt Geld in die Segregation fließen zu lassen, sollten wir ein inklusives Schulsystem umsetzen. Die Inklusion ist keine Vision, andere Länder zeigen, dass es funktioniert. In Österreich ist immer alles ein bisschen langsamer und mühsamer.

Sind Sie dafür, Sonderschulen abzuschaffen?

Vielleicht braucht es kleine Sonderschulen für Menschen, die schwerstens mehrfach behindert sind. Inklusion darf nicht brutal passieren, das ist ein ganz sensibles Thema. Es gibt viele Befürworter der Sonderschule. Doch Bildungschancen sind hier geringer, weil man sich nicht an den Besseren orientieren kann.

Wie funktioniert der Übergang ins Berufsleben für Menschen mit Behinderung?

Wir haben in Studien herausgefunden, dass Beratung enormen Einfluss auf den weiteren Bildungsweg hat. Bei Sonderschulen läuft sie in Richtung Segregation, also etwa Werkstätten. In den Integrationsklassen wird häufiger der integrative Weg empfohlen, also Ausbildung und Arbeit in der freien Wirtschaft. Auffällig ist, dass innerschulische Beratungen generell mehr den geschützten Bereich empfehlen.

Was sind die größten Probleme für Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt?

Die Arbeitsmarktsituation ist nicht gut, und mit Behinderung hat man noch geringe Chancen. Doch die Wirtschaft wird uns alle brauchen. Und wir wissen, dass die Investition in integrative Maßnahmen volkswirtschaftlich kostengünstiger ist als etwa die Beschäftigung in Werkstätten.

Unternehmen zahlen lieber Ausgleichstaxen, als Menschen mit Behinderung einzustellen. Wieso?

Ihnen fehlt die Erfahrung. Besonders groß ist ihre Unsicherheit bei Menschen mit psychischer oder intellektueller Beeinträchtigung. Menschen mit Sinnes- und Körperbeeinträchtigung haben es da leichter. Denn wenn der Arbeitsmarkt einmal rollstuhlgeeignet ist, ist die Leistungsfähigkeit nicht mehr gefährdet. Kollegen oder der Chef wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen oder haben Angst vor hohen Fehlzeiten. Da gibt es viele Vorurteile.

In Ihren Studien haben sich Frauen mit Behinderung als zusätzlich gefährdet herausgestellt. Wieso?

Frauen sind prinzipiell in der Schule erfolgreicher. Das liegt auch an der Sozialisation: Sie sind zurückhaltender und braver. Burschen haben eher SPF, aber das dreht sich irgendwann um. Bei der Integration in Ausbildung und Beschäftigung sind Frauen die Verliererinnen: Frauen mit Behinderung verbleiben am längsten im Pflichtschulsystem und haben geringe Aufstiegschancen. Bei ihnen ist die Gefahr, wieder arbeitslos zu werden, höher. Das betrifft Frauen generell, aber Frauen mit Behinderungen noch stärker.



Was wäre da notwendig?

Mehr Projekte, die junge Frauen mit Behinderung als Zielgruppe im Auge haben. Wenn ich ein negatives Selbstbild habe, werde ich mich nicht selbstbewusst bewerben. Wir brauchen Empowerment.

Helga Fasching ist Assistenzprofessorin am Institut für Bildungswissenschaft der Uni Wien. Davor war die Psychotherapeutin lange in der beruflichen Integration als Arbeitsassistentin und in der psychiatrischen Nachbetreuung tätig.

Inklusion ermöglicht allen Kindern Zugang zu allgemeinen Schulen. Derzeit gibt es in Österreich ein segregatives Schulsystem: Kinder mit Sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF)
werden in der Sonderschule oder in der Regelschule in
Integrationsklassen unterrichtet. Die Sonderschulen gliedern sich in elf
Sparten, die Allgemeine Sonderschule ist die größte. Die Bezeichnung
"Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung" löst den Begriff
"geistige Behinderung" ab.