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Mutig, aber realistisch gegen die Klimakatastrophe

Von Marc H. Hall

Gastkommentare

Der Kampf zur Rettung des Klimas wird im Energiesektor gewonnen - oder verloren.


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Ist jedes starke Wetterereignis bereits eine Klimakatastrophe? Wer die Berichterstattung in diesem Sommer aufmerksam verfolgte, muss zu diesem Schluss kommen: Ob es die Überschwemmungen im Ahrtal in Rheinland-Pfalz, in Hagen und Wuppertal waren oder ein Tornado in Südmähren, selbst die Waldbrände am Mittelmeer und in Kalifornien oder der nächste Hurrikan in der Karibik: Das seien alles klare Hinweise auf die bevorstehende, vom Menschen gemachte Klimakatastrophe.

Muss das so sein? Brauchen wir das wirklich? Aus der Medienwelt kommt dazu ein klares Ja! Denn "bad news" sind "good news", und jeder Superlativ, sei er noch so lokal begrenzt, lässt sich generalisieren und damit Betroffenheit erzeugen. Die Wahrnehmung von Wetterextremen und die globale, mediale Verbreitung von Auswirkungen starker Wettereignisse hat zugenommen. Die empirische Evidenz dafür ist unbestreitbar. Diskutabel ist die Frage, ob der Klimawandel, mit einem Anstieg von derzeit etwas mehr als 1 Grad, bereits zu einer meteorologischen Gewissheit führt.

Logisch wäre das durchaus, denn eine höhere Temperatur bedeutet mehr Energie und viel mehr Wasserdampf in der Atmosphäre. Daraus kann man nicht nur mehr Regen, sondern auch häufigere und stärkere lokale Niederschläge ableiten. Bei wissenschaftlichen, empirisch begründeten Konzepten eines hundert- oder tausendjährigen Hochwassers ist ein Beobachtungszeitraum über wenige Jahre wenig aussagekräftig. Die entsprechenden Alarm- und Katastrophenhilfen müssen trotzdem angepasst werden. Manchmal wirft schon ein einzelnes, großes Ereignis ein komplettes regionales Krisenmodell über den Haufen.

Bei Tornados kann man noch klarer feststellen, dass mit der Vermehrung von Beobachtern, sogenannten Spottern, die Anzahl an dokumentierten Tornados konstant zunimmt. Dort, wo sie sehr häufig auftreten, etwa im Tornado Alley im Mittleren Westen der USA, gibt es schon einen kleinen Tornado-Tourismus. In unseren Breiten sind sie seltener, trotzdem muss in Deutschland durchschnittlich mit 60 und in Österreich mit 10 Tornados im Jahr gerechnet werden. Diese sind von unterschiedlicher Qualität; ein zerstörerischer Tornado, wie heuer in Südmähren, kommt sehr selten vor. Bei entsprechender Sensibilisierung der Bevölkerung und der Bereitschaft der Medien, die mit Kameras und Drohnen dokumentierten Bilder anzunehmen, könnten wir in Österreich eine gleiche statistische Realität herbeiführen wie im heurigen Sommer beim vermehrten Auftreten von Schlangen aller Art. Mit dem Klimawandel hat das herzlich wenig zu tun.

Brauchen wir die Starkwettereignisse und Naturkatastrophen, um die Menschheit von der Tatsache des vom Menschen gemachten Klimawandels und der dringlichen Notwendigkeit des Gegensteuerns zu überzeugen? Vermutlich, denn 1 Grad durchschnittliche Temperaturerhöhung über den ganzen Globus kann ein einzelner Mensch kaum wahrnehmen, dazu sind die Schwankungen im Tages- und Jahresverlauf und über die geografischen Breitengrade zu groß. Mit schlechtem Wetter, Naturkatastrophen und dem Hinweis auf ähnliche Auswirkungen aus der Klimakrise lässt sich Betroffenheit, vielleicht sogar Engagement, organisieren. Warum auch nicht, es kann sich nicht jeder in komplexe wissenschaftliche Forschung und IPCC-Berichte vertiefen.

Bagatellisierungdurch Gleichsetzung

Dafür müssen wir aber einige Nachteile bei der Analyse und den zu ergreifenden Maßnahmen in Kauf nehmen, die uns vor dem weiteren Aufheizen des Planeten und vor Umweltkatstrophen bewahren sollen. Wir bagatellisieren durch die Gleichsetzung beides, etwa die notwendigen Abwehr- und Alarmeinrichtungen gegen Katastrophen aller Art, weil wir sie für nicht bekämpfbar und nicht vermeidbar halten: Wozu Hochwasserschutz, wenn wir damit nichts gegen den Klimawandel unternehmen? Und wozu einen gewaltigen, globalen Umbau der Energieversorgung der Welt beginnen, wenn man mit ein paar Löschflugzeugen Waldbrände erfolgreich bekämpfen kann?

Zur größten Einschränkung valider Optionen und durchgreifender Veränderungen für den Klimaschutz kommt es, wenn der kurz bevorstehende Weltuntergang als Maßstab für das Handeln herangezogen wird, etwa mit 2030, das in globalen Kategorien "übermorgen" (in zwei Tagen!) ist. Das verleitet dazu, mit lokalen Punktlandungen und sektoralen Nulllösungen das Auslangen zu finden, wie zum Beispiel dem Ziel, Österreich ab 2030 ausschließlich mit erneuerbarem Strom zu versorgen. Erinnern wir uns an die berühmten Kyoto-Ziele von 1997, bei denen sich die Industriestaaten verpflichtet haben, ihre CO2-Emissionen bis 2012 gegenüber 1990 substanziell zu reduzieren. Deutschland nahm sich minus 12 Prozent vor und hat das Ziel erreicht, allein durch die Erneuerung der alten ostdeutschen und die Optimierung der westdeutschen Braunkohlekraftwerke, der weiterhin größten CO2-Schleudern Europas.

Wegen guter Ausgangswerte das Klimaziel grandios verfehlt

Österreich wollte ebenfalls minus 12 Prozent schaffen und hat sein Ziel grandios verfehlt, weil Österreich 1990 mit bereits mehr als 60 Prozent an erneuerbarem Strom über kein billiges, technologisches CO2-Absenkungspotenzial in der Stromerzeugung verfügte. Da nützt es auch nichts, dass Österreich inzwischen vollständig aus der Kohleverstromung ausgestiegen ist. Wie zum Hohn warf sich Österreich für den in Kyoto einkassierten "Fünfer" dann beim Pariser Abkommen 2015 auf ein Ziel, bei dem das Land in der EU schon jetzt die Nummer eins ist: auf den Anteil an erneuerbarem Strom.

Die Rechtsanwältin und Umweltaktivistin Michaela Krömer hat das Klimaabkommen von Paris mit einem freiwilligen WG-Putzplan verglichen. Es ist aber eher das Gegenteil, denn in der Wohngemeinschaft weiß jeder sehr genau, was zu putzen ist, aber keiner will so recht. Beim Pariser Abkommen hingegen wollen alle 195 Vertragsparteien, die unterzeichnet haben, ganz dringend putzen, sie wissen nur nicht, wie sie das tun sollen.

Der Kampf zur Rettung des Klimas wird im Energiesektor gewonnen - oder verloren. Der Stromsektor macht allerdings nur für 20 Prozent des energetischen Endverbrauchs aus. Beim erneuerbaren Strom ist Österreich, dank Bergen und Wasser, bereits Musterschüler. Wesentlich mehr CO2-Einsparungen wären im Verkehrssektor und in der Raumwärme von Wohnhäusern und Wirtschaftsgebäuden zu holen. Allerdings müssten dafür bereits jetzt der öffentliche Personennahverkehr und der Güterfernverkehr auf der Schiene mit den größten Baustellen aller Zeiten kurz vor ihrer Fertigstellung stehen, und viele neue Fabriken für Wärmedämmstoffe und Effizienztechnologien müssten ihre Fließbänder zum Glühen bringen. Davon ist nichts zu hören und nichts zu sehen.

Brav sein alleine ist für einen Musterschüler zu wenig

Die Attitüde des Musterschülers birgt eine weitere Gefahr: Der Kampf gegen den Klimawandel ist eine globale Aufgabe. Ein einsamer Musterschüler in der Welt von steigenden Emissionen zu sein, reicht nicht. Einen nicht-emittierenden Staat gibt es auf der ganzen Welt nicht (und wird es vermutlich auch nie geben). Dieser könnte sich mit seiner Mustergültigkeit auch nicht freikaufen von den Auswirkungen des Klimawandels. Daher ist die Frage zu stellen, was neben dem eigenen, braven Verhalten zusätzlich als Beitrag zur Rettung der Welt geleistet wird.

Auf Österreich bezogen: Was kann das Land erschaffen, um einen Einfluss auf den weltweiten Klimaschutz und nicht nur auf den eigenen Hinterhof zu haben? Ist es die Nutzung der Wasserkraft? Haben wir umfassende, ökologische Kompetenzen, mit denen wir anderen Ländern helfen oder sie vor dem einen oder anderen Fehler bewahren könnten? Oder gelingt uns Ähnliches wie mit dem LD-Verfahren von 1950, dem revolutionären Durchbruch in der Stahlerzeugung durch Frischen mit Sauerstoff, nämlich in Zukunft die Eisenerzreduktion auf der Basis von Wasserstoff statt mit Kohle? Stahl für Windräder und Schienen werden wir auch in Zukunft brauchen. Das wäre doch eine echte nationale Aufgabe von internationaler Tragweite. Allerdings: Bis übermorgen, also bis 2030, werden wir das nicht schaffen.