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Mutig in die Zukunft der Stadtgestaltung gehen

Von Martin Heintel

Gastkommentare
Martin Heintel ist Professor am Institut für Geografie und Regionalforschung der Universität Wien. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der Stadt- und Regionalentwicklung.
© privat

Die Bevölkerung ist wesentlich weiter, als wo die Politik sie abzuholen wagt.


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In Wien stehen Bezirks- und Gemeinderatswahlen bevor. Ein Wahlergebnis gibt mitunter eine Ausrichtung der Politik für die kommenden fünf Jahre vor. Stadtplanung und Stadtentwicklung sind kein Hier und Jetzt, sondern bedürfen einer Steuerung und Perspektive über die Zeit. Ermutigen wir die Politik dahingehend, dass es nicht nur eine Politik des Zumutbaren gibt. Stadtentwicklung der Zukunft bedeutet die Reduktion des ruhenden Verkehrs im öffentlichen Raum, ein verändertes Mobilitätsverhalten, Klimawandelanpassung und Teilen auf unterschiedlichen Ebenen.

Politik ist in der Regel dort, wo "ein Stück des Weges gemeinsam gegangen wird". Manchmal entsteht der Eindruck, die Bevölkerung hole die Politik ab und nicht umgekehrt. Die These lautet: Die Bevölkerung ist in ihren Visionen und ihrer Veränderungsbereitschaften für eine zukunftsfähige Stadt wie Wien wesentlich weiter, als wo die Politik sie abzuholen wagt. Das bestätigen auch Umfragen der Stadt Wien beziehungsweise auf Bezirksebene, vor allem beim Thema Mobilität.

Neben dem Reizthema Auto geht es um viele weitere Themen, die sich unter "Urban Sharing Society" zusammenfassen lassen. Der öffentliche Raum ist nicht erst seit Corona eine Projektionsfläche hinsichtlich gerechterer Verteilung vielfältiger Nutzungsinteressen. Der Begriff "Shared Space" wird dabei mit einer weiteren Bedeutung aufgeladen. Das Thema Wohnen wird künftig stärker durch kooperatives Zusammenleben geprägt sein, auch über Generationen mit Allgemeinflächen und Gemeinschaftsräumen. Das Thema Arbeiten wird stärker digitalisiert sein. Co- und Homeworking verändern nicht nur die Arbeitswelt, sondern beeinflussen auch die Büroinfrastrukturen. Kommunikation wird zunehmend durch digitale Teilhabe(möglichkeiten) bestimmt, ob im Bildungssystem oder auch zwischen Generationen. Die Wirtschaft lebt vom Teilen der Ideen, indem Start-ups oder EPUs kooperativ zum Durchbruch kommen.

Eine Pop-up-Kultur im Sinne der Neuinterpretation des öffentlichen Raums irritiert manche vorerst durch ihre temporäre Intervention. Gelingt aber dauerhafte Umgestaltung, ist die Akzeptanz gesichert, und jedes etablierte Projekt ist Wegbereiter für Neues. Das belegt auch die jüngst umgestaltete Neubaugasse, die zuvor in heftigen Debatten zwischen diversen Interessengruppen wie Parteien, lokaler Wirtschaft, Anrainern und Wiener Linien verfangen war.

Der Blick in die jüngste Vergangenheit sollte auffordern, mutig in die Zukunft der Stadtgestaltung zu gehen, auch wenn damit der eine oder andere Konflikt vorerst aufgelegt ist und Kommunikation notwendig sein wird. Das betrifft jedenfalls Themen wie neu ausgelegte Mobilitätskonzepte für höherrangige innerstädtische Straßen, Straßenbahnen auch in Begegnungszonen und eine konsequente Neuinterpretation des öffentlichen Raums hinsichtlich Gestaltung, Begrünung und konsumfreier Räume - um hier nur einige Konzepte zu nennen. Nicht der ruhende Verkehr bestimmt das Straßenbild der Zukunft, sondern Menschen in öffentlichen Räumen, die in dieser Stadt leben, arbeiten, auf Besuch sind und sich dort auch aufhalten wollen.

Die Politik kann sich dabei nicht nur auf die Wiener Bevölkerung, sondern auch auf eine solide Stadtverwaltung verlassen. Muten wir der Politik mehr zu, damit sie auch mutiger wird, Stadtentwicklung zukunftsfähig zu gestalten.