SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer hat die bisherige evangelische Superintendentin des Burgenlands, Gertraud Knoll, in sein Team geholt und damit einmal mehr für Überraschung gesorgt. Als "Mutter Courage" soll sie im Falle einer Regierungsbeteiligung als Staatssekretärin für soziale Fragen und Generationen im Sozialministerium tätig werden. Nach Wolfgang Petritsch und Josef Broukal ist sie damit die dritte Kandidatin im vielzitierten "Kabinett des Lichts".
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ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel hatte sie 1995 "nach intensiven Verhandlungen" einen Korb erteilt, als dieser sie als Regierungsmitglied anwerben wollte. Damals war ihr das Familienministerium angeboten worden, auch die Ressorts Umwelt und Unterricht standen zur Diskussion.
Mehr Glück war Gusenbauer vergönnt, für den Knoll als Staatssekretärin zur Verfügung steht - aus Überzeugung, wie sie betonte. Schwerpunkte möchte sie in den Bereichen Ältere und Behinderte setzen und der "sozialen Kälte", die viele unter Schwarz-Blau zu spüren bekommen hätten, entgegenwirken.
Ihrer Ansicht nach gehört der Sozialstaat zur Identität Österreichs - dieser sichere aber heute nicht vor Armut. Vor allem Alleinerzieherinnen, Behinderte, Langzeitarbeitslose oder Menschen nach der Scheidung kommen nicht selten "in einen Lebensstrudel, der von heute auf morgen in Obdachlosigkeit enden kann". Der Staat dürfe sich hier nicht aus der sozialen Verantwortung ziehen. Ihr Motto sei immer gewesen: "Der Mensch zählt bevor er sich auszahlt".
Völlig ernst sei es ihr damit, die Anliegen des Sozialstaatsvolksbegehrens umzusetzen.
Für Knoll selbst bedeutet der nun gesetzte Schritt ein großes Risiko, denn eine Rückkehr in das Amt der Superintendentin ist ausgeschlossen. In dem Moment, in dem sie eine parteipolitische Kandidatur bekannt gebe, sei sie aus dieser Funktion ausgeschieden, erklärte die Neo-Politikerin bei ihrer Präsentation im Presseclub Concordia. Die Kirchenleitung sei gestern Vormittag informiert worden. Auf einer Kandidatenliste der SPÖ steht Knoll nicht - sie werde nicht der Partei beitreten, wie sie betonte - damit ist auch ein Sitz im Nationalrat ausgeschlossen.
Räumen muss Knoll nicht nur ihren Sessel als Geistliche, sondern mit ihrem Mann, den drei Kindern und drei Haustieren auch ihre Dienstwohnung. Die Unterstützung ihrer Familie habe sie, denn diese "trägt die Entscheidung mit".
Gusenbauer präsentierte seine neue Kandidatin als "Mutter Courage" und zeigte sich stolz, "solch eine Persönlichkeit für mein Team gewonnen zu haben". Knoll sei in Österreich allseits geschätzt für ihr soziales Engagement und ein Zeichen für innovative Politik, streute der SPÖ-Parteichef ihr Rosen - sie sei nach Petritsch und Broukal nun die dritte Angehörige seines Kabinetts des Lichts, das "Schwarz-Blau in den Schatten stellen" werde.
Bischof Herwig Sturm nahm den Wechsel Knolls in die Politik "mit Bedauern zur Kenntnis". Ihr politisches Engagement findet er "nicht unanständig, sondern positiv".
Kritische Kommentare kamen hingegen von den Regierungsparteien. Schüssel erklärte dazu nach dem Ministerrat nüchtern: "Ich habe die Besten, er sucht sie noch." Für ÖVP-Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat driftet die SPÖ immer weiter nach links ab. FPÖ-Klubchef Karl Schweitzer meinte, Knoll sei jetzt dort, wo sie wirklich hingehöre. Sie habe bisher "unter dem Deckmantel ihres Amtes Parteipolitik gemacht" und im Burgenland einen Privatkrieg gegen seine Partei geführt.
Die Grünen gaben sich gelassen. Die stellvertretende Parteichefin Eva Glawischnig nannte Knoll eine "integere Persönlichkeit". Das Potenzial der Grünen sieht sie dadurch nicht geschwächt.
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Zweiter Anlauf in die Politik
Gertraud Knoll (43), unternimmt ihren zweiten Anlauf für eine politische Karriere. 1998 kandidierte sie für das Bundespräsidenten-Amt und erreichte mit 13,5 Prozent - abgeschlagen, aber doch - den zweiten Platz hinter Thomas Klestil (63,5 Prozent). Angetreten war sie als unabhängige Kandidatin, mit Unterstützung getragen von den Grünen und Teilen der SPÖ.
Aus der Politik heraus gehalten hat sie sich seither nicht: Am 19. Februar 2000, trat sie als Rednerin bei der Großdemo gegen die Bildung der ÖVP-FPÖ-Regierung auf. Die Folge waren Anfeindungen. Nach massiven Drohungen musste sie einen Sonderurlaub antreten. In der evangelischen Kirche hatte die FP-nahe "Plattform Evangelischer Christen", als deren Sprecher der steirische FP-Chef LR Leopold Schöggl fungierte, mit einer Unterschriftenaktion vehement ihren Rücktritt gefordert. Erneut ins Rampenlicht trat Knoll im Frühjahr 2002 als Mitinitiatorin des Sozialstaatsvolksbegehrens.
Sie war 1985 die erste evangelische Pfarrerin der Diözese Burgenland. 1994 wurde sie zur ersten Superintendentin Österreichs gewählt, war damit im Rang eines Bischofs und hatte die Verantwortung für 35.000 Gläubige in 29 Gemeinden.
Ihre Funktion als Superintendentin hat Knoll bereits zurückgelegt. Sowohl für die evangelische Landeskirche Österreichs als auch die römisch-katholische Weltkirche ist ein politisches Amt mit einem kirchlichen unvereinbar.