Eine Ende der Woche präsentierte Studie hat untermauert, was wir alle schon lange wissen: die Zahl der EU-Bürger schrumpft kontinuierlich. Ein wichtiger und bisher wenig beachteter Faktor sei dabei die Tatsache, dass das "Gebäralter der Frauen ständig steigt", so Studienleiter Wolfgang Lutz vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg (Niederösterreich).
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Fazit ist, dass sich immer mehr Frauen ihren Kinderwunsch in einem späteren Lebensabschnitt erfüllen. Das hat nun zum einen sicherlich mit den zusehends rauer werdenden Mechanismen des Arbeitsmarktes zu tun, zum anderen aber doch auch mit der viel zitierten sexuellen Revolution der 1960er Jahre und der daraus folgenden Emanzipationsbewegung. Immer mehr Frauen entscheiden ganz bewusst - und selbstbewusst - wann für sie der richtige Zeitpunkt zum Kinderkriegen gekommen ist. Dank dem ungehinderten Zugang zu Verhütungsmitteln in weiten Teilen Europas, ist Kinderkriegen kein gottgewolltes Schicksal - war es übrigens nie - sondern planbar - und verhinderbar.
Nicht von ungefähr führt gerade die Türkei mit ihren noch immer patriarchischen Strukturen die Liste der Länder mit den höchsten Geburtenraten mit rund 2,5 Kindern pro Frau an. Der EU-Wert liegt bei durchschnittlich 1,5 Kindern pro Frau.
Um dem Trend der schrumpfenden Bevölkerungszahlen entgegenzuwirken, meint Lutz, müsse man u.a. das Kinderkriegen auch im jüngeren Alter attraktiv machen. Zum Beispiel sollten die immer noch auf Männer zugeschnittenen Muster der Berufskarrieren überdacht oder etwa ein gesetzlicher Anspruch auf Teilzeitarbeit erwogen werden.
Auch dafür liefert die Statistik ein schönes Beispiel: Frankreich liegt mit 1,9 Kindern deutlich über dem EU-Schnitt. Dort war die Kinderbetreuung dem Staat stets ein wichtiges Anliegen. Überdies hat jedes Kind ab dem Alter von drei Jahren einen Rechtsanspruch auf einen Platz in der Vorschule (ecole maternelle).
Ein gut ausgebautes Netzwerk der Kinderbetreuung ist der Schlüssel zur "babyfreundlichen Gesellschaft", das weiß auch die EU, die schon vor zwei Jahren auf einem sogenannten "Baby-Gipfel" Alarmstufe "rot" ausgerufen hatte, angesichts der stetig sinkenden Geburtenraten.
Beim Thema Kinderbetreuung scheiden sich in Österreich nach wie vor die politischen Lager, wie die aktuelle Diskussion um die langfristigen Auswirkungen des Kinderbetreuungsgeldes auf die Berufstätigkeit von Müttern zeigt. Eine empirische WIFO-Studie hat nämlich ergeben, dass der Anteil jener Frauen, die wieder eine Beschäftigung aufnehmen, bevor das Kind 2 1/4 Jahre alt ist, seit der Umwandlung des Karenzgeldes in das Kinderbetreuungsgeld von 54 Prozent auf 35 Prozent zurück gegangen ist. Die Zahl der Väter in Karenz sank gleichzeitig von 2,5 Prozent auf 2 Prozent. Laut der Studie befänden sich nun Frauen mit Kleinkindern seltener und weniger lang in einem finanziell und versicherungsrechtlich gesicherten Status.
Die Frauen- und Familienexpertin der Wiener AK, Ingrid Moritz, meint, dass das Kinderbetreuungsgeld von den Frauen teuer bezahlt werde: "Ohne entsprechende Kinderbetreuung, familienfreundliche Arbeitszeiten und fehlende partnerschaftliche Aufteilung von Betreuungsaufgaben kann nicht von einer Wahlfreiheit zwischen Erwerbstätigkeit und Kinderbetreuung gesprochen werden".
Interessant in diesem Zusammenhang sind auch die Zahlen, die das Linzer Frauenhaus in der Vorwoche vorgelegt hat: die Mehrheit der misshandelten Frauen verfügt über kein eigenes Einkommen. Die Vorsitzende des Frauenhauses, Dagmar Andree, rät daher allen Müttern, berufstätig zu sein.