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Mutterkuh versus Kampfhund

Von Patrick Panholzer

Recht

Das Schadenersatz-Urteil nach der tödlichen Kuh-Attacke ist gut begründet, wenn man sich mit den Fakten auseinandersetzt.


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Im Sommer 2014 wurde eine deutsche Touristin im Tiroler Stubaital von einer Kuhherde zu Tode getrampelt. Am 20. Februar dieses Jahres verurteilte das Landesgericht Innsbruck in erster Instanz den Landwirt, dem die Herde gehört, zur Schadenersatzzahlung von insgesamt rund 490.000 Euro (nicht rechtskräftig). Die Verurteilung sorgte für lautstarke Reaktionen: So wurden etwa das "Ende der freien Almwirtschaft" und "massive Auswirkungen auf den Tourismus" prophezeit. Was hierbei verkannt wird: Das Urteil ist gut begründet, wenn man sich mit den Fakten auseinandersetzt.

In Anbetracht der medialen Reaktionen auf das Urteil sind eingangs zwei Dinge zu betonen: Erstens geht es in diesem tragischen Fall um eine Schadenersatzforderung des Ehemanns und des Sohnes der zu Tode getrampelten Touristin, also um den Tod eines Menschen. Dies wird unverständlicherweise in der öffentlich geführten Diskussion nahezu zur Gänze übersehen. Vor nur wenigen Monaten hingegen hatte der Tod eines Kleinkindes durch die Attacke eines "nicht ausreichend sorgsam verwahrten" Kampfhundes zu Bestürzung und dem Ruf nach strengeren gesetzlichen Regeln geführt. Die entsprechenden gesetzgeberischen Maßnahmen werden aktuell sogar bereits schon umgesetzt.

Sorgfaltspflichtenfür Tierhalter im ABGB

Zweitens sollte man sich bei der öffentlichen Bewertung eines Gerichtsurteiles vorab mit den Fakten des Falles auseinandersetzen. Dabei wird man Folgendes feststellen: Bei den Kühen handelte es sich um eine Herde Mutterkühe. Auch wird man feststellen, dass im nunmehr vorliegenden Urteil eine exakte Abwägung der Umstände des Einzelfalles im Zusammenhang mit der Haftungsbegründung erfolgt war. Das österreichische Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch kennt einen eigenen Haftungstatbestand für Schäden, die durch ein Tier verursacht werden. Zentral sind hier die Sorgfaltspflichten für den Tierhalter: Der Tierhalter muss für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung der Tiere sorgen und diesen Umstand auch beweisen. Bei der Beurteilung einer entsprechenden Haftungsfrage sind nach der herrschenden Rechtsprechung stets die konkreten Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Also etwa, um welches Tier es sich handelt, welche Gefährlichkeit von diesem ausgeht sowie die zeitlichen, örtlichen und sonstigen Umstände der jeweilig vorhersehbaren Situation.

Der dem Urteil des Landesgerichts Innsbruck zugrunde liegende Sachverhalt ereignete sich keinesfalls - entgegen der Annahme zahlreicher Äußerungen - auf einer weitläufigen, freien Almwiese. Tatsächlich ereignete er sich auf einer öffentlichen Straße, die von Wanderern, Kindern, Radfahrern und Fahrzeugen stark frequentiert wird. In unmittelbarer Nähe zum Unglücksort befindet sich auch eine Gastwirtschaft mit mehr als 200 Sitzplätzen. Der vorhandene Warnhinweis zur Mutterkuhhaltung und Leinenpflicht für Hunde war laut Urteil des Landesgerichts nicht ausreichend für die gesetzliche Verwahrungspflicht.

Das dürfte grundsätzlich jedem einleuchtend sein. Dass bei der besonderen Konstellation des gegenständlichen Falles eine Gefahr immanent ist, war offenbar auch dem verantwortlichen Landwirt bewusst, ansonsten hätte dieser wohl keine Warnschilder aufgestellt. Es ist aber auch einem unbeteiligten, außenstehenden Dritten nachvollziehbar, dass das bloße Aufstellen eines Warnschildes insbesondere dann nicht ausreichend ist, wenn sich diese vorhergesehene Gefahr tatsächlich verwirklicht.

Zu den spezifischen Gegebenheiten: Da es sich um den unmittelbaren Bereich des stark frequentierten Weges in der Nähe des Gasthofes handelte, ist ein effektiver Schutz in einer tatsächlich verwirklichenden Gefahrensituation wohl nur durch entsprechende mechanische Barrieren zu erreichen. Exakt der Umstand, dass dies einem durchschnittlich verständigen - insbesondere tierkundigen Landwirt - einleuchtend sein musste und vorhersehbar war, dem aber nicht Rechnung getragen wurde, begründet die im gegenständlichen Einzelfall nicht vorgelegene "sorgfältige Verwahrung".

In der nunmehr geführten, öffentlichen Diskussion wird diesem konkreten Aspekten nicht ausreichend Rechnung getragen. Eine gleich gelagerte Diskussion im Falle, dass ein nicht angeleinter Kampfhund ohne Maulkorb, auf dessen Existenz aber ein Warnschild hinweist, einen Menschen verletzt oder sogar tötet, ist wohl auch für jeden Nicht-Experten nur schwer vorstellbar.

Bei objektiver Betrachtung wird man erkennen, dass die österreichische Rechtsprechung in derartigen Haftungsfragen eine sehr genaue Einzelfallbeurteilung unter Abwägung aller spezifischen Umstände vornimmt. Insbesondere wurde judiziert, dass die Verwahrung von Rindern mittels eines fachgerechten elektrischen Weidezaunes im Allgemeinen genügt. Möglicherweise hätte dies auch bereits im gegenständlichen Fall ausgereicht. Das hätte sicher auch eine zumutbare Maßnahme dargestellt - jedenfalls im gegenständlich fraglich örtlichen Bereich.

Urteil sollte Vertrauen in Rechtsprechung bestärken

Man denke dabei nur an unzählige solcher Weidezäune, die in ganz Österreich entsprechende Weiden von öffentlichen Straßen abgrenzen. Aber auch durch eine allenfalls weitergehende Absicherung in Form einer noch höherwertigeren Barriere als einem elektrischen Weidezaun wäre beim gegenständlich stark frequentierten, örtlichen Bereich wohl noch keine Überspannung gewesen. Dem Argument, dass sich der Vorfall auch außerhalb eines entsprechend abgesicherten Bereiches ereignen hätte können, ist entgegenzuhalten, dass dann auch die Beurteilung der Haftung im konkreten Einzelfall aufgrund der geänderten zu berücksichtigenden Umstände anders auszufallen hätte.

Das vorliegende Urteil des Landesgerichts Innsbruck sollte vielmehr das Vertrauen in die österreichische Rechtsprechung und deren Unbeirrbarkeit sowie Konzentration auf die wesentlichen zu beurteilenden Fakten bestärken. Hingegen sind die überzogenen öffentlichen Reaktionen in Anbetracht des Umstandes, dass durch die unzureichende Verwahrung der Kuhherde der Tod eines Menschen eingetreten ist, keinesfalls nachvollziehbar.

Die wirklich freien Almen werden auch weiterhin wirklich frei bleiben können sowie hoffentlich auch weiterhin Kampfhunde nicht freilaufend auf Kinderspielplätzen akzeptiert werden müssen.

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