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Muttertag zwischen Blumen und Bedrohung

Von Sabine M. Fischer

Gastkommentare
Sabine M. Fischer, Inhaberin von Symfony Consulting, ist Wirtschaftspädagogin, Human-Factor-Unternehmensberaterin und Sprecherin des AK Industrie 4.0/IoT in Wien. Mitte Mai wurde sie zudem zur Aufsichtsratsvorsitzenden des Verbands der österreichischen Wirtschaftsakademiker (VÖWA) gewählt.
© Symfony / Klaus Prokop

Trotz evidenter Faktenlage ist eine Änderung nicht in Sicht.


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Wieder feiern die Blumenhändler Muttertag, und wieder haben wir ein Problem in den Schlagzeilen: Frauenmorde, begangen von gewalttätigen Partnern. Nicht nur in Afghanistan, auch in Österreich. Wieder läuft die "Reden wir darüber"-Maschinerie los: Wie hilft man den Tätern bei der Bewältigung ihrer Gewaltneigungen, wie reduziert man die Opferzahlen? Gefragte Gesprächspartner sind vorzugsweise Vereine, die sich teilweise um den Preis der Selbstausbeutung schon lange um das Durchbrechen von familiären Gewaltspiralen bemühen.

Trotz evidenter Faktenlage ist eine Änderung nicht in Sicht, denn Erkenntnis führt nicht automatisch zu Veränderung: Die Stellung von Frauen in unserer Gesellschaft ist nach wie vor eine unterbezahlte und untergeordnete. Muttersein verschärft sogar noch die Lebensumstände für Frauen: Mütter verfügen über weniger Einkommen und haben auch privat eine noch höhere Arbeitsbelastung - egal, welchen Beruf sie ausüben, egal, welche hierarchische Stellung sie im Betrieb einnehmen.

Sicher haben es die Privilegierten von uns geschafft, sich Freiräume zu erarbeiten, indem sie die unbezahlte Hausarbeit ausgelagert haben - entweder an Putzfrauen oder an Reinigungskräfte, je nach sozialversicherungsrechtlicher Stellung. Aber verbessert das etwas an der Anerkennung von Frauenleistungen in unserer Gesellschaft? Schützt es vor Gewalt in der Familie? Fördert es die Selbstbestimmung von Mädchen und Frauen auch in patriarchalen Milieus?

Hohe Systemrelevanz, öffentlicher Applaus und trotzdem keine Verbesserung von Einkommen und Arbeitsbedingungen - dazu gibt es neben Müttern viele Beispiele: Pflegepersonal für Senioren (egal ob Arbeitskräfte aus dem Ausland oder die inländische Verwandtschaft), Betreuungskräfte in Kindergärten und Schulen, Angestellte im Lebensmitteleinzelhandel - niemand möchte sie missen, wenn er sie braucht. Aber ihre Arbeits- und Lebensbedingungen an jene angleichen, auf deren Tätigkeiten wir in Krisen nicht so dringend angewiesen sind? Das scheint nicht notwendig zu sein.

Ob es damit zusammenhängt, dass die meisten Personen aus diesen Gruppen weiblich sind? Und viele von ihnen Mütter? Die meisten darin geübt, strukturelle Mängel mit Eigeninitiative und mit individuellem Kraftaufwand auszugleichen? Gewohnt, nicht lange zu diskutieren, sondern einfach zu tun, weil es ja sonst keiner macht? Und die Erfahrung überwiegt, dass lange Reden das Bewältigen nur noch komplizierter machen und man am Ende sowieso mit der Arbeit "überbleibt"?

Solange wir nicht durch einen gezielten Ausbau von sozialer Infrastruktur (Gesundheitswesen, Bildungs- und Betreuungseinrichtungen für Jung und Alt) mit fair entlohnten und menschlichen Arbeitsbedingungen Frauen von gesellschaftlichen und familiären Zwängen konkret entlasten, Mädchen dieselben Freiräume zugestehen wie Buben und sie vor Diskriminierung in allen öffentlichen Räumen konsequent schützen, wird es bei Blumen an einem Tag im Jahr und einem Fortbestehen der Bedrohungslage für 51 Prozent unserer Gesellschaft bleiben.