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Mykobakterien in Milchprodukten

Von Christa Karas

Wissen
Milchsäureprodukte gegen den Blähbauch sind mit Vorsicht zu genießen. Foto: bilderbox

Joghurt & Co. enthalten nicht nur "gute Bakterien". | Wissenschafter konnten nun alten Verdacht bestätigen. | Wien. Nach Werbeverboten für TV-Reklamespots in den USA und Großbritannien wegen behaupteter, aber unbewiesener Gesundheitseffekte, droht den Herstellern von Milchprodukten, aber auch der Milchwirtschaft insgesamt, der nächste große Schlag. Denn nach jüngsten Forschungsberichten ist nicht nur "Gutes" - wie Milchsäurebakterien (Laktobazillen) - in Joghurt & Co enthalten, sondern auch wahrlich "Böses", nämlich Mykobakterien, denen die Pasteurisierung nichts anhaben kann. Und diese sind höchst verdächtig, chronisch entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn auszulösen.


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Wie israelische Wissenschafter im Frühjahr im "Journal of Infectious Diseases" berichteten, wurden in sterilen menschlichen Darmabschnitten, die in Mäuse implantiert worden waren, durch das Einspritzen von Mykobakterien des Stammes avium paratuberculosis (MAP) schwere Gewebsschäden und Entzündungsreaktionen hervorgerufen - "und zwar exakt die gleichen, wie sie auch für die immer häufigere Darmerkrankung Morbus Crohn (MC) typisch sind", wie Manfred Stein nun im wissenschaftlichen Informationsdienst des Europäischen Institutes für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften "Eu.L.E." schrieb.

Stein: "Diese Ergebnisse bestätigen zum wiederholten Male, dass MAP der Erreger dieser bisher als unheilbar geltenden chronischen Darmentzündung ist. Diese Bakterien sind gleichermaßen bei Rindern, Schafen, Ziegen und verschiedenen Wildtieren für die auch dort unheilbare Darmentzündung Paratuberkulose verantwortlich."

Identischer Gendefekt

Erstmals wurde dieser Verdacht im Jahr 1913 von dem Chirurgen Thomas Kennedy Dalziel im "British Medical Journal" geäußert, dem die Parallelen zwischen an Paratuberkulose erkrankten Wiederkäuern und den entzündeten Darmabschnitten aufgefallen waren, die er bei seinen Operationen an Menschen fand. Seine Arbeit dürfte aber nicht zuletzt deshalb so wenig Beachtung gefunden haben, da nicht alle, die mit dem Erreger in Kontakt kommen, daran erkranken. MC wurde 1932 erstmals von dem New Yorker Arzt Burill B. Crohn beschrieben.

Heute weiß man mehr. Stein: "Der rasante Erkenntniszuwachs der letzten Jahre belegt, dass sich Morbus Crohn und die Paratuberkulose auch auf molekularer Ebene gleichen: An Paratuberkulose erkrankte Rinder und MC-Patienten haben eine identische Veränderung am CARD15/NOD2-Gen. Das ist der Grund, warum nicht alle Menschen, die MAP aufnehmen, auch daran erkranken."

Dieses Wissen könnte einen Meilenstein sowohl für die Früherkennung als auch für die Therapie darstellen und den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) letztlich ebenso den Garaus machen wie die seinerzeitige Jahrhundertentdeckung, dass Gastritis in der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle durch den Erreger Helicobacter pylori verursacht wird und mit Hilfe bestimmter Antibiotika gut behandelbar ist.

Divergente Interessen

In Österreich leiden an die 80.000 Menschen an CED, wie erst Dienstag seitens der Firma Yakult - einem der Hersteller von Milchsäurebakterien enthaltenden "Gesundheitsgetränken" - in Wien betont wurde. Die Firma wandte sich in diesem Zusammenhang "im Rahmen eines wissenschaftlichen Projekts" gemeinsam mit der Arbeitsgruppe CED der Österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie (ÖGGH) an Österreichs Allgemeinmediziner: Sie seien gemeinsam mit ihren Patienten aufgerufen, sich an der Etablierung eines neuen Fragebogens zu beteiligen, mit dem die Früherkennung der CED verbessert werden soll.

Ziel sei es, so Yakult, "mehrere Tausend Personen in das Studienprojekt zur Etablierung eines CED-Checks einzubinden. Studienleiter sind Univ.-Prof. Manfred Maier und Univ.-Prof. Walter Reinisch von der Med Uni Wien".

Dieses Vorhaben müsste nun vor allem die Erkenntnisse der israelischen Wissenschafter - Nahum Shpigel und sein Team von der Hebrew University of Jerusalem in Rehovot - und das bereits vorhandene molekularbiologische Wissen einbeziehen. Ob das auch im Interesse der Hersteller von Milchsäureprodukten - die ja seit Jahren als Linderung von CED gepriesen wurden - ist, bleibt eher fraglich.

Billigere Therapie

Wenig Freude mit diesem - bisher weitgehend ignorierten - Erkenntniszuwachs dürften auch jene Zweige der Pharmaindustrie haben, deren teure und - naturgemäß - weitgehend erfolglose Medikamente bei CED eingesetzt werden. Wie sich nämlich nun in ersten Studien in den USA und Australien herausstellte, erzielte die Kombination von mehreren - infolge des abgelaufenen Patentschutzes billigen - Antibiotika nachgerade spektakuläre Erfolge bei MC. Und ähnlich wirksam zeigten sich in anderen Studien auch zwei bekannte Krebsmedikamente (Zytostatika). Fazit: Möglicherweise gibt es unter den Arzneimitteln noch mehr wirksame Substanzen - man muss nur danach suchen.