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Mythen der Revolution

Von Georg Friesenbichler

Politik

Internet-Nutzung verstärkt Revolten. | Mundpropaganda, TV weitere Faktoren. | Kairo/Wien. Die Berichterstattung aus Kairo wird durch Angriffe des Mobs, aber zunehmend auch durch Festnahmen von Journalisten erschwert. In dieser Situation sind die TV-Anstalten, wie bei den Oppositionsprotesten 2009 im Iran, stark auf private Aufnahmen angewiesen. Fotos oder Videos werden via Handy aufgenommen und ins Internet gestellt.


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Das Fernsehen hat wesentlich zu der Ausweitung der Proteste beigetragen. Daher hat das ägyptische Regime die Ausstrahlung des in Katar angesiedelten Senders Al Jazeera unterbunden. Gleichzeitig blockierten die Behörden aber auch das Internet in einem bisher nirgends gekannten Ausmaß - und strickten dabei am Mythos fort, dass es sich in Ägypten, wie zuvor in Tunesien, um eine Internet-Revolution handle.

Als die Blockade erfolgte, war es längst zu spät. Zwar sind von den jungen Demonstranten auf dem Tahrir-Platz fast alle bei Facebook, jenem sozialen Netzwerk, mit dessen Hilfe die als "Freunde" bezeichneten Teilnehmer kommunizieren, sich verabreden oder Veranstaltungen organisieren können. Die Organisation von Demonstrationen ist inzwischen aber nicht mehr notwendig - auf dem Platz im Zentrum Kairos sagte ein Demonstrant: "Das hier ist jetzt unser Facebook!"

Das Tempo ist neu

Jetzt genügt bereits ein Blick aus dem Fenster, um zu sehen, dass Zehntausende ebenso unzufrieden sind wie man selbst. Facebook und andere Netzwerke wie Twitter sind gleichsam der Ersatz für ein solches Solidaritätsgefühl. Die "Jugendbewegung des 6. Juni", benannt nach dem Datum eines Streiks und dem anschließenden Tod von Demonstranten durch Polizeiprügel, hat sich bereits 2008 im Internet organisiert. Aber erst als Al Jazeera die Bilder vom Aufstand in Tunesien brachte, gerieten auch in Ägypten die Massen in Bewegung.

Das Internet spielt also vor allem im Vorfeld und in den Anfängen von oppositionellen Bewegungen eine Rolle. Es ersetzt oder ergänzt dabei die klassischen Methoden wie Flugblätter, Fax oder Telefon, ist aber das ungleich schnellere Kommunikationsmittel. Vielleicht hat diese Geschwindigkeit der massenhaften Mobilisierung dazu beigetragen, dass die Herrschenden im In- und Ausland von den Ereignissen so überrascht wurden.

Eine verstärkende, beschleunigende Rolle spielt die Computerkommunikation also zweifellos. Mit den Ursachen der Revolten, die in sozialen und politischen Defiziten liegen, haben sie aber wenig zu tun, meinen die Kritiker der Mode gewordenen Schlagwörter.

Das Beispiel Iran

Zweifel kamen erstmals nach den Demonstrationen im Iran auf, die den manipulierten Wahlen von 2009 folgten. Die meisten prominenten Twitter hätten sich während der Proteste im Ausland befunden, schrieb ein Jahr später die US-iranische Journalistin Golnaz Esfandiari. "Die gute alte Mundpropaganda" hätte eine weit größere Rolle gespielt, meinte sie.

Dennoch versuchen die arabischen Machthaber, die Nachrichten auf den sozialen Netzwerken zu unterdrücken, meist mit wenig Erfolg. Die Angst vor einem "Flächenbrand" geht um, schreiben Kommentatoren, eine Angst, die Israel und die USA ebenso erfasst wie die arabischen Diktatoren.

Dabei täuscht auch dieses Vokabel, insbesondere, wenn es mit dem Zusammenbruch des Kommunismus 1989 in Verbindung gebracht wird. Die Regierungen Osteuropas waren damals im Wesentlichen geeint durch eine Ideologie, Teil eines Bündnisses unter der Führung der Sowjetunion. Die Flucht von DDR-Bürgern über Ungarn nach Österreich löste den Fall all dieser Regime aus. Die arabischen Länder verbindet weit weniger - auch wenn die Jugend überall aufbegehrt. Aber Despoten gibt es auch anderswo, und damit reicht die Angst vor einem Flächenbrand aufgrund der Beispielwirkung weit über die arabische Welt hinaus. Auch China hat das Wort "Ägypten" im Internet blockiert.