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"Mythos" 2: Wachstum zerstört Planeten

Von Clemens Neuhold

Politik

Ausgewachsen - Führt mehr Wirtschaftswachstum direkt in die Öko-Falle oder wieder heraus?


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Wien. Zwischen China und USA treibt eine Plastikmüllinsel mit der 16-fachen Fläche von Österreich. Doch man muss gar nicht zum Pazifik. Die Donau treiben täglich über vier Tonnen Plastik hinunter. Wasser, Luft, Erde. Die Art und Weise, wie wir Güter herstellen und konsumieren, überfordert den Planeten. Wir leben über unsere Verhältnisse. Zeit, die Stopp-Taste zu drücken. Zeit für weniger Wachstum.

China top, Afrika flop

Nichts könnte aus Sicht des wirtschaftsliberalen Think Tanks "Agenda Austria" falscher sein. Dem "Mythos", wonach Wachstum den Planeten zerstört und nur den Reichen hilft, stellt die Agenda ihre "Realität" gegenüber: "Wachstum ist der effizienteste Fluchthelfer aus der Armut." Beispiel China: Nirgendwo seien durch das rasante Wirtschaftswachstum so viele Menschen der Armut entkommen, während die Wachstumsschwäche in Afrika die Armut konserviert habe.

Der chinesische Wirtschaftsmotor ist mit Kohle befeuert. Die sorgt für Smog und der sorgt dafür, dass sich die Krankenhäuser in Peking mit Smogopfern füllen. Also doch runter vom Gas?

"Der Verzicht auf Wachstum ist eine abwegige Forderung. Wollen wir wirklich, dass die Entstehung neuen Wissens und dessen Anwendung für eine vielfältigere und bessere Produktwelt gebremst wird?" Der Think Tank argumentiert, dass sich die Güter nicht bloß auftürmen. "Altes verschwindet, Neues kommt", habe schon der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter gewusst: Die anonymen Marktkräfte sind demnach besser in der Lage, die Produktion auf neue, umweltfreundlichere Güter umzustellen als "Vater Staat". Wie vermessen wäre es außerdem, wenn der Döblinger mit 10.000 Euro im Monat dem Schiffswrack-Zerleger in Bangladesh mit 10 Euro rät, im Sinne des Umweltschutzes weniger zu arbeiten? Deswegen Luft anhalten, der Markt wird’s richten und die Luft, das Wasser und die Erde wieder sauberer machen.

"Es sieht nicht gut aus für die Zukunft des Planeten", weisen die Ökonomen der Globalisierungskritiker von Attac auf die "Grenzen des Wachstums" hin. Diese hat der Club of Rome schon 1972 festgestellt und damit die Wachstumskritik eingeläutet. Die Agenda sagt, der Club of Rome sei mit seinen Prognosen daneben gelegen. Demnach hätten schon vergangenes Jahr die Rohstoff-Vorräte an Aluminium, Gold, Öl, Silber oder Zinn zu Ende gehen sollen.

Attac sieht sich durch Neuauflagen der Club of Rome-Studien bestätigt. 60 Prozent des Ökosystems seien sozusagen "gekippt". Trotzdem passiere "erschreckend wenig". Marktbasierte Instrumente gegen die Luftverschmutzung wie der Handel von Treibhausgas-Rechten würden forciert, obwohl nur der Finanzmarkt und nicht die Umwelt davon profitiert hätte. Um bei der Agenda-Diktion zu bleiben, fände es Attac besser, wenn "Mütterchen EU" saftige Steuern auf Kohlendioxid einführt.

Die These von der "Entdeckungsfreude" des Marktes, der in der Lage ist, die Öko-Probleme zu lösen, teilt Attac nicht. Denn Innovationen müssten nicht immer aus dem Markt heraus kommen und monetär belohnt werden. Das habe die Glühbirne oder Buchpresse gezeigt. Außerdem würden selbst hochwertigste Produkte wie jene von Apple zusätzliche Ressourcen verschlingen. Das widerspreche der These von der Qualität statt Quantität. Und sie würden unter fragwürdigen Bedingungen produziert. Das führt zum Thema Armut. Umweltverschmutzung hin oder her, der Arbeiter in der Apple-Fabrik in China hat immerhin einen Job. Doch zu welchem Preis? Für Attac ist dieser was die Umwelt betrifft zu hoch und was den Lohn betrifft zu niedrig.

Deswegen sieht Attac den Staat sehr wohl gefordert. Der solle die Früchte des Wachstums über klug investierte Vermögenssteuern besser umverteilen und so die Armut lindern. Denn selbst in einem der reichsten Ländern der Welt, dem Exportweltmeister Deutschland, steige die Armutsquote.

Was Armut ist, hat sich freilich stark geändert - auch dank des Wirtschaftswachstums in den vergangenen Jahrzehnten.