Bis dem Staat die Luft ausgeht - Die Warnung vor dem "Kaputtsparen" als Ausrede für einen aufgeblähten Staat?
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Wien. 450.000 Arbeitslose. Ein Rekordstand in der Zweiten Republik. Die Bürger wollen Antworten, die Politiker Rat von ihren Experten. Der eine sagt: Kräftig investieren, die andere sagt: Arbeitsmärkte flexibilisieren, ein dritter Ökonom warnt vor dem Investitionsregen, weil er sich rasch in toxische Schulden verwandeln könne. Der Theoriestreit der Ökonomen ist älter als die demokratischen Parteien und ihre Politiker, die sich regelmäßig aus dem Medikamentenschrank der Ökonomen bedienen.
Der wirtschaftsliberale Think Tank "Agenda Austria" gibt dem Richtungsstreit neue Nahrung und versucht, linke Theorien gezielt zu entmystifizieren. Doch die Kritiker kontern mit Gegen-Mythen. Die "Wiener Zeitung" begibt sich auf Mythenforschung. Teil 1: der "kaputtgesparte" Staat, der doch immer größer wird.
Achtung, Sparkeule!
"Wir dürfen nicht alles kaputtsparen. Rechtzeitiges Investieren in die Wirtschaft und für nachhaltige Arbeitsplätze ist wesentlicher denn je." Das Zitat stammt von Sozialminister Rudolf Hundstorfer. Es könnte auch von der Arbeiterkammer, von Attac oder tausenden anderen Vertretern einer linken Ökonomie stammen, die dem Credo folgt: Wer zu viel spart, würgt das Wachstum ab und vernichtet Arbeitsplätze. Bei aktuell 450.000 Arbeitslosen verkommt der Aufruf zum eisernen Sparen schnell zur gefährlichen Drohung.
Für die Wirtschaftsliberalen von "Agenda Austria" ist die Geschichte vom Kaputtsparen ein Mythos und eine bewusste Verdrehung der Tatsachen. "In Politik und Medien wird bereits von Sparen gesprochen, wenn die öffentlichen Ausgaben schwächer steigen als geplant." Das sei mit einer Familie vergleichbar, die nach drei Wochen Urlaub im vergangenen Jahr nun fünf Wochen plante, aus "Spargründen" aber auf vier Wochen reduziert. Aus Sicht der Agenda ist von "Kaputtsparen" keine Rede. "Der Staat wächst und wächst - und das auf Pump." Die Staatsausgaben seien in Österreich zwischen 2003 und 2013 um 41 Prozent und damit fast doppelt so schnell wie die Inflation angestiegen (auf 162 Milliarden Euro). Der letzte Überschuss im Bundeshaushalt datiere auf das Jahr 1962, mittlerweile komme jedes Baby mit 31.000 Schulden auf die Welt.
"Zumindest: Der Sozialstaat wurde nie auf Pump finanziert", kontert der Chefökonom der Arbeiterkammer, Markus Marterbauer, diesen "Mythos". Denn parallel zur Ausweitung des Sozialstaates seien auch die Steuern und Abgaben der Bürger gestiegen. "Es ist eine Illusion, dass die Politiker den Bürgern die Steuern aus der Tasche ziehen, dass sie aus Jux und Tollerei Schulden machen und das Geld dann in einem schwarzen Loch verschwindet. Aus Schulden für Eisenbahnschienen, Schulen oder Altersheime entsteht Vermögen für die nächste Generation. Die Bürger wollen ein besseres Gesundheits-, Pflege- oder Bildungssystem."
Vermögen als Goldenes Kalb
Und was ist mit dem Schulden-Baby? Marterbauer stellt den 30.000 Euro im fiktiven Schuldenrucksack der Austro-Babys 40.000 Euro aus durchschnittlichem Finanzvermögen gegenüber. "Als Volkswirtschaft als Ganzes sind wir nicht überschuldet." Und schwups sind arme Babys wieder reich. Eine Aufrechnung, die liberale Ökonomen, ablehnen. Denn was haben die Früchte der Leistung des Einzelnen mit dem unstillbaren Steuerhunger des Staates zu tun? Für Marterbauer führt der Weg aus den Schulden über die Vermögen. Deswegen fordert er wie die meisten linken Ökonomen kräftige Vermögenssteuern. Als Alternative dazu sieht er nur ein höheres Wirtschaftswachstum, das die Steuern ins Staatssäckel sprudeln lässt, doch dieses Wachstum sei nicht absehbar.
Wo endet der Steuermarathon? Warum nicht Ausgaben "korrigieren", wie die Agenda fordert und den Staat etwas zurückbauen?
"Effizienter kann man immer sein", sagt Marterbauer. Doch im Sozialsystem sieht er keinen Spielraum zum "Rückbau". Geld, das man durch Gesundheitsreformen spart, brauche man für die steigenden Pflegekosten.
In der Fachwelt läuft "Kaputtsparen" unter dem Begriff "Austerität", ein Begriff, der im Zusammenhang mit den EU-Problemländern des "Club Med" sehr häufig fällt. Für Marterbauer ist klar, was der "neoliberale Sparwahn" dort angerichtet hat: "In Österreich gab es trotz Krise keine Austerität", konzediert Marterbauer. "Aber von Spanien bis Griechenland sehr wohl - mit dem Ergebnis von zusätzlich fünf Millionen Arbeitslosen und einer Jugendarbeitslosenquote von bis zu 60 Prozent." Ja, in diesen Ländern, seien die Staatsausgaben seit der Krise 2008 gesunken, sagt die Agenda; nachdem sie in den Jahren vor der Krise "drastisch angeschwollen waren" - in Spanien um 50 Prozent in nur sechs Jahren. Und das sei doch das Gegenteil von "neoliberal".