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Mythos Charisma

Von Uschi Schleich

Reflexionen

Charisma müsste man haben! Dann wäre das Leben um vieles leichter. Türen und Herzen würden sich durch die magische Aura wie von selbst öffnen. Doch kann man Charisma trainieren?


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Es gibt, was das Charisma betrifft, drei Typen von Menschen. Da wären einmal diejenigen, die Charisma haben. Sollten Sie zu diesen Glückspilzen gehören: Herzliche Gratulation! Sie haben eine außergewöhnliche Fähigkeit, andere in Ihren Bann zu ziehen. Zum zweiten Typ gehören jene Menschen, die gerne Charisma hätten. Wenn Sie zu diesem Typ zählen, sind Sie mit Ihrem Wunsch nicht allein. Zugegeben, ein schwacher Trost, aber die Chancen, Charisma durch Übung zu entfalten, stehen angeblich nicht schlecht. Das behaupten jedenfalls all jene, die den dritten Typus verkörpern. Diese Menschen verfügen zwar selbst nicht unbedingt über Charisma, aber sie verkaufen es!

Charisma-Coaching heißt das dann vielversprechend. "Charisma - das Geheimnis der Gewinner", "Der Charisma-Effekt" oder "Eindrucksmanagement" lauten die Titel der einschlägigen Seminare. Deren Programme lesen sich wie Ratgeber zur besseren Menschwerdung: In ein bis zwei Tagen, versprechen sie, lernt man, zu allen Menschen eine freundliche Beziehung aufzubauen, intelligent Nein zu sagen, durch die richtige Körpersprache charismatischer zu erscheinen sowie Sympathie, Sicherheit und natürliche Autorität auszustrahlen. Faszinierend! Es soll ja Menschen geben, die sich zur Erreichung genau dieser Ziele schon in langjährige Psychotherapie begeben haben. Wozu eigentlich, wenn wir all das in knappen zwei Tagen und obendrein viel billiger lernen können?

Zweifelhafte Ratschläge. So manche Empfehlung von sogenannten Charisma-Trainern wirkt allerdings etwas gewöhnungsbedürftig. "Üben Sie vor dem Badezimmerspiegel das gewinnende Lächeln!" oder "Trainieren Sie den zupackenden Händedruck an einem Tennisball!" und: "Machen Sie große Augen, heben Sie Ihre Augenbrauen und pflegen Sie intensiven Blickkontakt!" Das alles soll die Verbindung zum Gegenüber positiv beeinflussen. Es benötigt allerdings nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass weit aufgerissene Augen, manisch durchdringender Blick und ein vom willkürlichen Heben der Augenbrauen verzerrtes Gesicht den Gesprächspartner eher in die Flucht schlagen wird als ihm Vertrauen einzuflößen. Trotzdem boomen Charisma-Seminare, Ausstrahlungskurse (das sind die, wo man eine gute Ausstrahlung lernt!) und Workshops für das besondere Etwas. Doch ist Charisma angeboren oder tatsächlich erlernbar?

Schwer fassbares Phänomen. Der britische Psychologe Richard Wiseman, Professor an der Universität Hertfordshire, glaubt, hinter das Geheimnis der magnetischen Ausstrahlung gekommen zu sein, die manchen Menschen eigen ist: "Je besser ein Mensch es versteht, andere an seinen Gefühlen teilhaben zu lassen, desto charismatischer wirkt er." Wiseman gibt aber zu, dass das Phänomen nur schwer fassbar ist: "Wir fühlen zwar alle, ob jemand Charisma hat, aber es ist schwierig zu erklären, warum." In seinen Untersuchungen hat Wiseman jedenfalls herausgefunden, dass charismatische Menschen das Verhalten anderer Menschen stark beeinflussen. "Wenn Sie mit jemandem sprechen, der Charisma hat, werden Sie dessen Körpersprache automatisch nachahmen. Wenn Sie so jemand zum Beispiel anlächelt, werden Sie zurücklächeln. Das beeinflusst Ihre Gefühle, Sie bemerken gar nicht, dass Sie diese Person nachahmen, Sie merken nur, dass dieser Mensch Sie irgendwie glücklich macht."

Wiseman ist überzeugt, dass 50 Prozent des Charismas angeboren sind: "Die restlichen 50 Prozent sind erlernbar." So gesehen kann sich daher auch jeder zum Charismatiker ausbilden lassen - zumindest zur Hälfte. Um die eigene Ausstrahlung zu intensivieren, sollte man versuchen, die emotionale Atmosphäre zu prägen, empfiehlt Wiseman. Dazu reichen seiner Ansicht nach bereits ein paar wenige, einfache Verhaltensregeln: eine offene Körpersprache ohne gekreuzte Arme oder Beine, kurze Berührungen beispielsweise am Oberarm während eines Gesprächs und teilnahmsvolles Nicken beim Zuhören. Klingt irgendwie ganz nach einem Seminar zum Thema "Überzeugende Rhetorik für Anfänger".

Sprache und Stimme einsetzen. Ob wir auf andere charismatisch wirken, entscheiden auch Sprechweise und die benutzten Formulierungen. So sollte, lautet ein weiterer Tipp von Wiseman, die Sprache möglichst einprägsame bildhafte Formulierungen enthalten, bei denen der Zuhörer im Geist deutliche Bilder sieht. Auch eine ständige Veränderung von Tonlage und Sprechgeschwindigkeit fesseln die Aufmerksamkeit. Ein weiterer Trick: "Lassen Sie die Menschen wissen, dass sie Ihnen wichtig sind." Ein ehrliches Lächeln sei dabei besonders hilfreich, meint Wiseman und rät: "Denken Sie einfach an etwas, das Sie an Ihrem Gegenüber mögen." Ja, zum Beispiel die Schokolade auf seinem Schreibtisch.

Einfach man selbst sein. Spaß beiseite. Es gibt eben auch charismatische Menschen, die sich in manchen Situationen erlauben können, ihre Hände zu verschränken oder ihre Beine zu überkreuzen und trotzdem nichts von ihrer magischen Anziehungskraft verlieren. Authentizität heißt das Zauberwort. "Für Charisma gibt es kein Rezept", sagt Frank Bernieri, Professor für Psychologie an der Oregon State University. "Das ist eine Kunst, und man spielt dabei mit den Emotionen der Zuhörer wie ein improvisierender Jazzmusiker. Charismatiker besitzen vor allem die angeborene Gabe, wirksame Gesten und Tricks vor einem Publikum richtig auszuspielen." Laut Frank Bernieri besteht Charisma aus einer Mischung von Expressivität und Sensibilität, Disziplin, Eloquenz, Weitblick und Selbstvertrauen. "Eine charismatische Person hält nichts von falscher Zurückhaltung und sie scheut sich nicht vor großen Worten und Gesten, die die Sehnsucht der Menschen nach Gefühl und Pathos stillen."

Charismaforscher konnten nachweisen, dass wir Menschen charismatisch finden, die ausdrucksstark und engagiert mit uns sprechen, Menschen, die oft lächeln und lebhaft, aber nicht übertrieben gestikulieren. Auch der kalifornische Sozialpsychologe Ronald Riggio erkannte bei seinen Studien die emotionale Ausdruckfähigkeit als die wichtigste Eigenschaft von Charismatikern: "Sie artikulieren ihre Gefühle auf eine Weise, die Menschen anspricht, begeistert und schließlich zum Handeln motiviert. Manchmal sind Charismatiker aber auch still, taktvoll und zurückhaltend, wenn es die Situation erfordert." Auf jeden Fall, davon ist Ronald Riggio überzeugt, verfügen charismatische Menschen über eine hohe emotionale Intelligenz.

Alles nur Äußerlichkeiten? "Ausstrahlung kann man lernen, Charisma nicht", sagt der deutsche Managementtrainer Rolf Ruhleder. "Über 50 Prozent eines erfolgreichen Auftretens werden durch Äußerlichkeiten bestimmt", betont Ruhleder und verweist auf Körpersprache, Ausdruck und Erscheinung, die sich durch Selbstbeobachtung und Training nachhaltig verbessern ließen. Die nonverbale Kommunikation, also Mimik, Gestik und Körperhaltung, machen 55 Prozent unseres Gesamteindrucks aus. Immerhin zu 38 Prozent bestimmen wir mit unserer Sprechweise, wie wir ankommen, also mit den Eigenheiten unserer Stimme, der Modulation und dem Sprechrhythmus. Nur magere sieben Prozent beeinflusst hingegen der Inhalt den ersten Eindruck - kein Wunder daher, dass bei Coaching-Seminaren nicht nur an Worten, sondern vor allem am Verhalten gefeilt wird.

Oder doch innere Einstellung? Für den Schweizer Unternehmensberater Harry Holzheu hat Charisma aber weniger mit der äußeren Erscheinung als mit der inneren Einstellung zu tun. "Charisma basiert auf dem Glauben an etwas, auf der starken Überzeugung von einer Idee, einer Vision." Auch die Einstellung den Mitmenschen gegenüber sei ein wichtiger Faktor. "Charisma hat, wer andere Menschen ernst nimmt, und zwar unabhängig von deren Status, Funktion und Prestige." Ein charismatischer Mensch versuche, bei jeder Begegnung ein positives Signal zu senden. "Ein gutes Wort, ein aufmunterndes Zeichen, eine Frage nach dem Wohlergehen des anderen sind solche Signale." Im Unterschied zu Menschen, die angelernte Phrasen wiedergeben, sind Charismatiker in ihren Äußerungen ehrlich, betont Harry Holzheu.

Beliebtes Trainingsprogramm. Charisma steht in vielen Seminaren für Führungskräfte auf dem Programm, in Rhetorik-Workshops ebenso wie in Coachings für Neurolinguistisches Programmieren. Doch was die Anbieter darunter verstehen, ist oft diffus. Die einen kündigen an, die Selbstwahrnehmung der Teilnehmer zu verbessern. Andere versprechen ihren Teilnehmern nach Abschluss des Seminars mehr Souveränität und Selbstsicherheit. Hypno-Coaches garantieren willigen Managern gar, deren schlechte Gewohnheiten mittels Hypnose einfach wegzaubern zu können. Und selbst renommierte Trainingsinstitute schrecken nicht davor zurück, jedem Teilnehmer seinen individuell berechneten Charisma-Faktor zu überreichen.

Mag sein, dass der eine oder andere mit Verhaltensregeln aus Charisma-Coachings tatsächlich auf dem besten Weg ist, seine Ausstrahlung im positiven Sinn zu verändern. Vielleicht führt der Besuch dieser Seminare ja auch zu mehr Selbstbewusstsein. Aber einfach antrainieren lässt sich Charisma nicht. Wer überhaupt kein charismatisches Potenzial besitzt, dem wird auch kein Charisma-Workshop der Welt zu mehr Ausstrahlung verhelfen. Anders gesagt: Aus einem vertrockneten Hering als Chef wird wohl niemals ein wortgewaltiger Blauwal werden. Aber vielleicht ein einfühlsamer Delfin.