Wenn ein Junkie auf Entzug Schmerzen erleidet - ist dann die Therapie an diesem Elend schuld oder vielleicht doch die Sucht?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Österreich droht, wenn wir dem populären Ökonomen Stephan Schulmeister und vielen anderen Experten glauben dürfen, eine tödliche Gefahr: das "Kaputtsparen", also eine Wirtschaftskrise, die dadurch verursacht wird, dass der Staat zu sparsam ist.
Angesichts der Tatsache, dass die Republik Österreich Kredite aufnehmen muss, um die Zinsen bestehender Kredite zahlen zu können, erscheinen diese Warnungen vor vermeintlichem "Kaputtsparen" zumindest originell. Denn noch weniger sparsames Verhalten als selbst die Zinsen auf Pump zu bedienen ist selbst für einen hartgesottenen Schulden-Junkie kaum vorstellbar.
Trotzdem stimmt, dass ein substanzielles Zurückfahren staatlicher Ausgaben nicht ganz ohne Folgen für das Wirtschaftswachstum bliebe. Ursächlich schuld daran ist freilich nicht eine Politik des Sparens, sondern natürlich jener vorhergehende staatliche Ausgabenexzess, der die Politik des Sparens erzwungen hat; spätestens dann, wenn die Gläubiger nervös werden.
Österreich - und vielen anderen europäischen Ländern - droht deshalb nicht wirklich die Gefahr des "Kaputtsparens". Ihnen droht vielmehr die unvermeidbare Konsequenz jahrzehntelanger staatlicher Schuldenexzesse: die unvermeidliche Rechnung und damit verbundene Wohlstandseinbußen.
Dabei ist nicht wirklich gesichertes Wissen, dass die Wirtschaft zwangsläufig mit krampfartigem Schrumpfen reagieren muss, wenn der Staat spart. Denn gerade in jenen europäischen Staaten, die nach dem Crash im Jahr 2008 am radikalsten sparten - vor allem Lettland, aber auch Estland, Litauen oder Bulgarien -, begann die Wirtschaft relativ schnell wieder relativ rasch zu wachsen. Nicht zuletzt, weil die dortigen Regierungen ernsthafte Reformen umsetzten, die die Wettbewerbsfähigkeit steigerten. "Es ist zweifelhaft, ob der Sparkurs die Wirtschaft ruiniert", folgert daraus der renommierte frühere polnische Notenbankchef Leszek Balcerowicz (in einem "Standard"-Interview). In Staaten wie Griechenland oder Portugal hingegen, wo in diesen Jahren von ernsthaftem staatlichen Sparen nicht die Rede sein konnte, entwickelte sich das Wirtschaftswachstum trotzdem relativ bescheiden.
Ein überzeugendes Indiz für die vermeintliche Gefährlichkeit des "Kaputtsparens" ist das nicht wirklich; eher ein Hinweis darauf, dass eine harte, aber kurze Austeritätspolitik nach dem Muster Lettlands langfristig eher Erfolg verspricht als eine Politik der permanenten Konkursverschleppung durch immer neue Schulden. "Sinkende Staatsausgaben führen nicht automatisch zu einer Rezession, die historische Erfahrung spricht dagegen. Sparen setzt oft Kräfte frei, dafür gibt es dutzende Beispiele", meint denn auch der renommierte deutsche Ökonom Stefan Homburg.
Nützlich ist der Mythos vom "Kaputtsparen" freilich manchem Politiker: als perfekte Begründung dafür, den Wählern das Notwendige nicht zumuten zu müssen. Konkursverschleppung wird so scheinbar zur ökonomischen Tugend. Zumindest, solange sich noch ein Geldgeber findet, der das finanziert.
ortner@wienerzeitung.at