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Mythos Wasserstoffwirtschaft

Von Josef Gansch, Stephan Neuberger, Bernhard Reinitzhuber, Mario Sedlak und Günter Wind

Gastkommentare

Die Herstellung und Anwendung ist verlustreich und daher nur in wenigen Fällen sinnvoll. Wasserstoff ist jedenfalls nichts für Autos oder Gasthermen.


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Derzeit decken die EU und Österreich rund zwei Drittel ihres Energiebedarfs mit Kohle, Erdgas und Erdöl. Es ist verlockend, diese klimaschädlichen Energiequellen durch sauberen Wasserstoff zu ersetzen. Wasserstoff kann aus Ökostrom erzeugt werden und verbrennt ohne Freisetzung von CO2. In Gasnetzen könnte zukünftig Wasserstoff fließen und an Tankstellen Wasserstoff getankt werden. Das hätte den Reiz, dass sich für die Verbraucher nicht viel ändern würde. Visionäre träumen schon seit den 1970ern von einer Wasserstoffwirtschaft. Durch ambitionierte Klimaschutzziele und den Ukraine-Krieg erleben diese Ideen aktuell einen Höhenflug.

Wenn die fossile Energie, die derzeit in Österreich verbraucht wird, einfach durch Wasserstoff aus Ökostrom ersetzt werden soll, wären hierfür nicht weniger als 25.000 große Windräder und zusätzlich Solarzellen mit einer Fläche von 2.000 Quadratkilometern nötig. Nicht einmal Optimisten glauben, dass das in Österreich möglich ist. Die installierte Wind- und Solarleistung müsste fast auf das 40-Fache steigen, und es würde eine Fläche doppelt so groß wie das Burgenland belegt. Stattdessen wird erwartet, dass die Europäische Union im Jahr 2050 knapp die Hälfte und Österreich sogar 70 Prozent des benötigten Wasserstoffs aus ferneren Ländern importieren müsste.

Ein weiterer Haken der zunächst verlockend erscheinenden Wasserstoffwirtschaft sind die Kosten: Da der Wasserstoff aus Strom erzeugt wird, kann dieser nicht billiger als Strom sein. Und der Strompreis wird wahrscheinlich auch langfristig nicht viel sinken. Das bedeutet: Heizen oder Autofahren mit Wasserstoff wäre ein teures Vergnügen. Das macht es außerdem sehr fraglich, ob sich Wasserstoff tatsächlich durchsetzen wird. Vor allem ärmere Länder werden wohl noch länger bei der günstigeren fossilen Energie bleiben (müssen). Aus solchen Ländern "sauberen" Wasserstoff zu importieren, wäre ökologisch unsinnig.

Sehr geringe Energieeffizienz

Wasserstoff ist ein sehr leichtes Gas, das pro Kubikmeter nur etwa ein Achtel so viel Energie wie Erdgas enthält. Das macht den Transport ineffizient. Wasserstoffpipelines gibt es bereits, allerdings ist der relative Energieaufwand für die Pumpen viermal so hoch wie bei Erdgas. Gleichzeitig kann durch das Rohr pro Stunde nur ein Achtel so viel Energie wie mit Erdgas transportiert werden. Damit der Wasserstoff zu jeder Tankstelle kommt, wären unverhältnismäßig hohe Investitionen erforderlich. Ein einfacher Tankwagen kann nur Wasserstoff für einige Dutzend Autotankfüllungen transportieren. Ebenso ineffizient wäre der Import von gasförmigem Wasserstoff mittels Schiffen.

Zwar lässt sich Wasserstoff auch verflüssigen, aber nur bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt (0 Grad Kelvin beziehungsweise -273,15 Grad Celsius), und auch dann enthält ein Liter weniger als ein Drittel der Energie von Benzin. Die Verflüssigung kostet rund 40 Prozent der Energie, die im Wasserstoff gespeichert ist. Deshalb kommt auch Wasserstoff, der in fernen Regionen mit dort viel billigerem Ökostrom als hierzulande erzeugt wird, nach dem Import bei uns wahrscheinlich ungefähr gleich teuer wie heimisch produzierter.

Um die Nachteile bei der Handhabung zu vermeiden, wird überlegt, aus Wasserstoff (H2) Methan (CH4), Methanol (CH3OH) oder Ammoniak (NH3) zu machen. Methan ist der Hauptbestandteil von Erdgas und könnte daher einfach ins Gasnetz eingespeist werden. Methanol ist flüssig und somit leicht transportierbar. Ammoniak lässt sich durch Verdichtung verflüssigen. Allerdings kostet die Erzeugung der Wasserstoffverbindungen 20 bis 40 Prozent der Energie und ist somit auch keine effiziente Problemlösung.

Die Handhabung von Wasserstoff ist auch im Hinblick auf die Sicherheit nicht unproblematisch. Zwar kann jeder Energieträger irgendwie gefährlich werden, aber Wasserstoff bildet mit Luft ein besonders leicht entzündliches Gemisch. Die benötigte Zündenergie ist so gering, dass unter Druck ausströmender Wasserstoff sich meist von selbst entzündet. 2019 sind in Norwegen eine Wasserstofftankstelle und in Kalifornien ein Wasserstofftanklastzug explodiert, weil durch Montagefehler Wasserstoff austrat. Im selben Jahr explodierte ein 40.000-Liter-Wasserstofftank in Südkorea, weil bei der Produktion in einer Forschungsanlage ein Teil des gleichzeitig entstandenen Sauerstoffs mit in den Tank gelangen konnte.

Wärmepumpe schlägt Gas

Autos, Lkw, Busse und Züge sollten langfristig möglichst elektrisch mit Strom aus Akkus oder Oberleitungen fahren. Wird der Strom mit einer Brennstoffzelle an Bord der Fahrzeuge aus Wasserstoff gewonnen, steigt der Stromverbrauch auf mehr als das Doppelte. Im Fernverkehr kann das dennoch die einzige gangbare Option sein. Am schlechtesten ist die direkte Nutzung von Wasserstoff oder daraus hergestellten synthetischen Kraftstoffen in Verbrennungsmotoren: Hier wird pro Kilometer bis zu sechsmal so viel Strom wie bei direktem Elektroantrieb verbraucht. Für die Luftfahrt ist synthetisches Kerosin aus Wasserstoff aber wohl nötig, denn große Flugzeuge für Mittel- und Langstrecken lassen sich kaum elektrifizieren, und der Verzicht auf das Fliegen wird nicht ganz gelingen.

Beim Heizen sind Wärmepumpen unschlagbar. Die Verbrennung von "grünem" Gas, für die manche Lobbys derzeit Stimmung machen, verbraucht etwa die fünffache Menge Strom. Dabei ist bereits berücksichtigt, dass während Dunkelflauten - wenn es also wenig Wind und kaum Sonne gibt - der Strom kraftwerksseitig aus grünem Gas erzeugt werden muss. Das wird aber nur selten (schätzungsweise in 10 Prozent der Zeit) notwendig sein.

Am dringendsten brauchen wir weitere Windkraftwerke und Photovoltaikmodule sowie stärkere Stromnetze. Die Erzeugung von Wasserstoff aus Strom macht ökologisch nur dann Sinn, wenn es so große Ökostromüberschüsse gibt, dass diese anders nicht verwertet werden können. Das wird zukünftig, wenn Wind und Sonne zeitweise ein Mehrfaches des Strombedarfs decken, häufig der Fall sein. Aktuell sind solche Überschüsse noch selten, insbesondere in Österreich, wo es viele Pumpspeicher gibt, die in ihren Stauseen im Gebirge Strom mit nur 20 bis 30 Prozent Verlust für später aufheben können. Eine Umwandlung in Wasserstoff und spätere Rückverstromung hätten hingegen Verluste von 60 bis 70 Prozent zur Folge.

Flexiblere Anlagen

Wenn Wasserstoff aus Strom produziert wird, sollte dies jedenfalls nur so geschehen, dass das Energiesystem stabilisiert und das Netz entlastet wird. Wir müssen es endlich schaffen, mit entsprechenden Anreizen (etwa flexiblen Netzgebühren) solche Verbraucher an die aktuelle Ökostromproduktion angepasst zu betreiben. Die Wasserstoffproduktion mittels Elektrolyse wird zukünftig ein wichtiger flexibler Stromverbraucher zur Verwertung von Ökostromüberschüssen und Verringerung des Ökostromspeicherbedarfs sein. Deswegen sollten die Anlagen in Richtung Flexibilität optimiert werden - und nicht, wie derzeit, nahezu im Dauerbetrieb laufen.

Damit keine Altlasten entstehen, sollten neu installierte Anlagen in der Industrie - besonders in der Stahl- und Chemiebranche - bereits fit für eine spätere Umstellung von fossiler Energie auf Wasserstoff sein oder sogar heute schon mit Wasserstoff betrieben werden, wenn hier noch Erfahrungen gesammelt werden müssen. Eine effiziente Wasserstoffwirtschaft zielt auf eine stoffliche Verwertung in der chemischen Industrie und Metallgewinnung als Ersatz für fossile Rohstoffe ab; Wasserstoff ist nichts für Autos oder Gasthermen. Generell müssen wir ganz massiv Energie einsparen - durch Effizienz, aber auch durch Verzicht auf Unnötiges. Ansonsten wird eine vollständig klimaneutrale Gesellschaft noch lange eine Vision bleiben.