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Na klar, Sarrazin ist schuld

Von Christian Ortner

Gastkommentare
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Eine sachliche Islam-Debatte muss nach Oslo genauso möglich sein, wie sie vor Oslo notwendig war. Das zu bestreiten, hilft nur den Extremisten.


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Dem deutschen SPD-Chef Sigmar Gabriel gelang der bisher vermutlich absurdeste Beitrag zur an Absurditäten nicht eben armen Debatte um das Massaker in Norwegen. "In einer Gesellschaft, in der Anti-Islamismus und die Abgrenzung von anderen wieder hoffähig wird", fabulierte Gabriel allen Ernstes, "und in der das Bürgertum Herrn Sarrazin applaudiert, da gibt es natürlich auch an den Rändern der Gesellschaft Verrückte, die sich letztlich legitimiert fühlen, härtere Maßnahmen anzuwenden."

Das hätten wir uns eigentlich schon früher denken können, dass Thilo Sarrazin letztlich irgendwie der wahre Schuldige an der Bluttat des Anders Behring Breivik ist.

Nun ist es das gute Recht Gabriels, sich nach Gutdünken selbst der Lächerlichkeit preiszugeben. Wirklich problematisch ist hingegen die Tendenz zahlreicher ganz ähnlich tönender Wortmeldungen aus dem politisch-medialen Milieu, mit Hilfe der norwegischen Tragödie auch die sachliche Diskussion über die Rolle des Islam in Europa abzuwürgen. Denn Sarrazin ist ja, neben anderen öffentlichen Personen wie dem Autor Henryk Broder, der Sozialwissenschafterin Necla Kelek, der Politikerin Aayan Hirsi Ali, dem Orientalisten Bassam Tibi, Alice Schwarzer und vielen anderen, durchaus Antreiber einer gelegentlich robust geführten Islam-Debatte.

Wer jemanden wie Sarrazin indirekt der Beiträgerschaft zu Breiviks blutigem Werk zeiht, bezichtigt damit letztlich jeden, der öffentliches Unbehagen über den Islam oder Aspekte des Islams äußert, der Komplizenschaft. Wer etwa die Scharia nicht so doll findet und das auch noch öffentlich sagt, mutiert solcherart zu einem islamophoben Fremdenhasser, der den Breiviks dieser Welt beim Zielen auf kleine Kinder hilft. Noch wirksamer kann man eine unerwünschte Debatte kaum abwürgen: Denn wer will sich das schon nachsagen lassen?

"Die Debatte, warum die Integration bestimmter Gruppen schiefläuft, die gibt es doch wirklich schon länger. Und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass dabei die islamische Leitkultur auch eine Rolle spielt. Das drückt sich unter anderem darin aus, dass man das Kollektiv, die Familie oder religiöse Traditionen für wichtiger hält als die Rechte des Individuums", meinte die türkischstämmige Sozialwissenschafterin Necla Kelek wenige Tage nach Oslo in einem Interview. Das so zu sehen ist weder islamophob noch rassistisch, sondern beschreibt schlicht und ergreifend die Folgen einer über Jahrzehnte verfehlten Zuwanderungspolitik in Deutschland oder Österreich.

Wenn ÖVP-Chef Michael Spindelegger jetzt eine "verbale Abrüstung" fordert, klingt das ziemlich nach einem dringenden Bedürfnis des Vizekanzlers, möglichst keine Islam-Debatten mehr vernehmen zu müssen. Nach dem Motto: Man weiß ja nie, wen man damit wozu reizen könnte.

Damit werden freilich die Probleme, die Necla Kelek anspricht, nicht gelöst, sondern nur verdrängt. Das hat schon einmal maßgeblich zum Erstarken rechtsextremer Politik beigetragen. Sachliche Religionskritik muss deshalb nach Oslo genauso möglich sein wie vor Oslo.

Dieser Gastkommentar gibt ausschließlich die Meinung des betreffenden Autors wieder und muss sich nicht zwangsläufig mit jener der Redaktion der "Wiener Zeitung" decken.