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Nach 57 Stunden gab Merkel Widerstand gegen Gauck auf

Von Rainer Mayerhofer

Europaarchiv

FDP-Unterstützung für den Kandidaten von SPD und Grünen gab den Ausschlag.


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Berlin. Als sich am Freitagabend die Parteichefs von CDU, CSU und FDP - Angela Merkel, Horst Seehofer und Philipp Rösler - nur wenige Stunden nach dem Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff erstmals zusammensetzten, um über die Nachfolge zu beraten, war bekannt, dass SPD und Grüne, die Merkel in die Nachfolgediskussion einbinden wollte, ihren Kandidaten von 2010, Joachim Gauck, favorisierten. Die um die Fraktionschefs Volker Kauder (CDU), Rainer Brüderle (FDP) und CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt erweiterte Koalitionsgruppe musste dann am Samstag und Sonntag erst einmal die regierungsinterne Marschrichtung ausverhandeln, nachdem inzwischen Verfassungsgerichtshofspräsident Andreas Voßkuhle und Bundestagspräsident Norbert Lammert abgewunken hatten. Die SPD hatte klargemacht, dass sie nicht dafür zu haben sei, ein Regierungsmitglied ins höchste Staatsamt zu wählen. Damit fiel auch eine mögliche Kandidatur von Finanzminister Wolfgang Schäuble ins Wasser. Die FDP wiederum lehnte eine Kandidatur von Bischof Wolfgang Huber, des früheren Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche, dem ein Naheverhältnis zur SPD nachgesagt wird, ab.

In den Koalitionsgesprächen am Sonntag legte sich die FDP auch gegen mögliche Kandidaturen der Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth und des früheren Umweltministers Klaus Töpfer quer, in denen sie ein mögliches Signal für eine künftige schwarz-grüne Koalition sah. Die FDP brachte ihrerseits aber den früheren Außenminister Klaus Kinkel als möglichen Kandidaten in die Debatte ein.

Als die FDP befürchten musste, dass sich die Unionsparteien über ihre Köpfe hinweg mit der SPD und den Grünen auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen könnten, kam es am Sonntag um 15 Uhr zu einer Sitzungsunterbrechung im Berliner Kanzleramt und FPD-Chef Philipp Rösler schwor sein Parteipräsidium in einer eiligen Telefonkonferenz auf eine Unterstützung Joachim Gaucks ein, was wiederum die Union unter Vollstress setzte.

Nach einer Unions-internen Schaltkonferenz wurde die Persönlichkeit Gaucks zwar gewürdigt, aber bemängelt, dass sein thematisches Spektrum zu eingeengt sei. Für die CDU-Ablehnung dürfte aber vor allem gesprochen haben, dass man mit einer Unterstützung Gaucks zugebe, vor zwei Jahren auf den falschen Kandidaten gesetzt zu haben. Unterdessen beschloss die SPD, an Gauck festzuhalten. Für Sonntagabend um 20 Uhr hatte die Koalition ein Treffen mit SPD und Grünen angesetzt. Angela Merkel lief jetzt Gefahr, dass sich ihre Ankündigung vom Freitag, einen gemeinsamen Kandidaten mit der Opposition zu suchen, als Bumerang erweisen könnte. Wenn sie bei ihrer Ablehnung Gaucks blieb, riskierte sie, alleine dazustehen und zusehen zu müssen, wie ihr Koalitionspartner gemeinsame Sache mit SPD und Grünen macht.

Nachdem das Treffen mit der Opposition zunächst verschoben worden war, machte Rösler der Kanzlerin in einer weiteren Sitzung klar, dass er nicht nachgeben werde. Kurz nach 20 Uhr sickerte durch, dass Merkel ihren Widerstand gegen eine Nominierung Gaucks aufgeben werde. Die Sitzung mit den Vertretern von SPD und Grünen konnte endlich beginnen. Kurz darauf verließ Merkel den Saal, um Gauck telefonisch zu erreichen. Der war gerade per Flugzeug aus Wien zurückgekommen und saß noch im Taxi, das ihn dann ins Kanzleramt brachte, wo ihn Merkel um 21.17 Uhr offiziell als Kandidaten vorschlug. Die Wahl soll am 18. März in der Bundesversammlung im Berliner Reichstagsgebäude stattfinden.