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Nach dem Krieg ist vor dem Krieg

Von Petra Ramsauer

Politik

In Libyen soll eine neue Regierung dem sich auch hier ausdehnenden Islamischen Staat Paroli bieten.


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Tripolis. Die Caféhäuser sind bis zum letzten Platz voll, Espressomaschinen dampfen im Hochbetrieb und in den Straßen der Hauptstadt des Öl-Staates stauen sich die Autos. Nur diese Fassade der Normalität in Libyens Hauptstadt Tripolis ist ebenso hauchdünn wie brüchig. Das zeigt sich vor den Tankstellen, wo immer wieder die Schlangen länger werden, wenn Gerüchte die Runde machen, dass die Subventionen für den noch spottbilligen Treibstoff bald gestrichen werden könnten. Es kommt auch zu Engpässen bei Diesel und Benzin, weil Lieferungen nicht klappen. Doch das ist nur der harmlose Anfang einer Geschichte über Chaos und Anarchie in dem nordafrikanischen Land. Das größte Problem ist: Immer wieder tauchen inmitten der Hauptstadt wie aus dem Nichts Checkpoints auf, die Milizen errichten und dort ihre Macht zügellos demonstrieren.

Sicherheit ist deshalb das Gut an dem hier der größte Mangel herrscht: Auch die neue Regierung, auf die man sich unter der Schirmherrschaft der UN vergangene Woche geeinigt hat, steht und fällt mit der Frage: Wo und wie können sich die neuen Minister überhaupt treffen, ohne dass sie rund um die Uhr um ihr Leben fürchten müssen? Entführungen sind an der Tagesordnung, nicht einmal Minister blieben zuletzt verschont. Oder Diplomaten. So wurde im November der Konvoi des serbischen Botschafters bei der Fahrt von Tripolis Richtung Tunesien angegriffen. "Wenn es um unsere Sicherheit geht, ist jeder in Wahrheit auf sich selbst gestellt. Wir haben Angst um unser Leben, wenn wir einkaufen gehen, um unsere Kinder, wenn sie am Weg zur Schule sind", sagt Eissa Z., die 50-jährige Frau eines Arztes, der sich in Libyens Hauptstadt Tripolis eine kleine Klinik aufgebaut hat.

Sie bat, nicht mit vollen Namen zitiert zu werden - zu groß ist die Angst vor Repressionen. "Unser gesamtes Geld steckt in der Klinik. Wenn wir gehen, stehen wir vor dem Nichts."

1600 "Katibas", also Kampfverbände, gibt es in dem Land, die seit der Revolution gegen das Regime von Muammar Gaddafi niemand unter Kontrolle brachte. Das Erbe des Autokraten ist ein Land, in dem es keine Staatsgewalt gibt: Selbst Gaddafi vertraute zeitlebens eher seinen Bodyguard-Truppen und weniger seiner Armee, die er möglichst kurz und schwach hielt, verbot Parteien genauso wie Gewerkschaften. Nach seinem Sturz und Tod 2011 sackte das Land in sich zusammen; denn es gab anders als etwa in Tunesien keine Strukturen, auf die ein Neustart sich aufbauen hätte lassen. Jeder Schritt wird so zum Risiko in dem Land, das bis vor wenigen Tagen zwei Regierungen und Parlamente hatte, die in einem erbitterten Machtkampf verstrickt sind: Im Osten des Landes regiert das "Repräsentantenhaus", ein Parlament, das aus den Wahlen 2014 hervorging. Premier ist hier der 61-jährige Abdullah al-Thinni, dessen Regierung international anerkannt wird. In Tripolis blieb unterdessen der Nationalkongress im Amt, der von Islamisten-Gruppen dominiert wird.

IS-Terrorstaat im Aufwind?

Und nun soll eine dritte Regierung das Chaos in Libyen begradigen: Bei Verhandlungen in Rom präsentierte der UN-Sondergesandte, der deutsche Diplomat Martin Kobler, stolz die Einigung: Ein Präsidium von neun Personen solle in den nächsten Wochen eine Regierung bilden, zwei Parlamentskammern werden aus den beiden andern Parlamenten formiert und in zwei Jahren soll es Wahlen geben. Die Einigung kam unter massiven Druck der USA und Russlands zustande. Gefahr ist in Verzug, denn zwischen diesen beiden Machtblöcken gelang es dem IS immer mehr an Boden zu gewinnen.

Einen Küstenstreifen von bereits 200 Kilometer kontrolliert der libysche Ableger der syrisch-irakischen Terrorgruppe; 3000 Kämpfer kontrollieren die Stadt Sirte, wo Gaddafi geboren wurde. Täglich dehnt sich der Terror-Staat hier weiter aus. Und er verankert sich gleichzeitig immer tiefer in den von ihm kontrollierten Gebieten. Erst am Montag veröffentlichte der IS ein Video, in dem die dortigen neuen Polizeieinheiten zur Schau gestellt werden: Sittenwächter sind sie - wieder bei Tageslicht betrachtet -, die ihren barbarischen Kodex exekutierten: Körperstrafen, Steinigungen und Enthauptungen zählen dazu.

Einladung zur Intervention

Doch die internationale Gemeinschaft sorgt derzeit weniger das Wohlergehen der Libyer, sondern die Gefahr, dass der IS in dem Land drauf und dran ist, neuralgische Transport- und Förderanlagen von Erdöl und Gas einzunehmen. Und dass hierher immer mehr hochrangige IS-Terroristen aus Syrien und dem Irak ankommen. So dürfte die erste Amtshandlung der neuen libyschen Regierung sein, dass die Paten ihres Zustandekommens, mit einer Einladung zu einer Militär-Intervention rechnen dürfen. So hat der britische Verteidigungsminister Michael Fallon am Wochenende den Einsatz von 1000 Elitesoldaten in Libyen zugesagt, ähnliche Ankündigungen gibt es seitens Frankreichs und Italiens. Einfach wird aber dieser Einsatz nicht: Dies zeigte das groteske Schicksal eines US-Sonderkommandos, das vor wenigen Tagen in Libyen auftauchte und kurzerhand von einer der Milizen aus dem Land geworfen wurde.

"Wir haben es einfach satt, wie Marionetten behandelt zu werden", sagt Fatima Almagar, einer Wissenschafterin, die an der Universität in Tripolis lehrt: "Katar, Ägypten, die USA, Russland, Italien, Frankreich und dann auch noch diese Wahnsinnigen vom IS. Alle benutzen Libyen als Schachbrett ihrer Machtspiele."

Zum Autor

Petra Ramsauer

ist Autorin mehrerer Sachbücher über den arabischen Raum. Zuletzt erschienen: "Die Dschihad-Generation - Wie der apokalyptische Kult des Islamischen Staats Europa bedroht".