Schwierige Weichenstellung für Verfassungswerk steht bevor. | EU-Vorsitzende Merkel vor größter Herausforderung. | "Friedensprojekt EU" interessiert nur noch wenige. | Brüssel/Berlin. Beethovens Fünfte Symphonie, gespielt von den Berliner Philharmonikern; feierliche Unterzeichnung der Berliner Erklärung - mit Pomp begehen die EU-Staats- und Regierungschefs am Wochenende den fünfzigsten Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge. Mit denen wurde die EU-Vorläuferorganisation Europäische Wirtschaftgemeinschaft und die Europäische Atomgemeinschaft Euratom ins Leben gerufen.
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Auch die Berliner selbst sollen etwas von den Geburtstagsfeiern haben: Alle Museen haben die ganze Nacht geöffnet, und in 27 Nachtclubs wird bis in den Morgengrauen des Sonntags getanzt. Gefeiert wird das Erfolgsprojekt EU in allen Hauptstädten, in Slowenien kommen sogar Fallschirmspringer mit EU-Fahnen zum Einsatz.
Überzeugungsarbeit bei Geld und Dienstleistung
Diese Feierlichkeiten in konkrete Schritte zur Wiederbelebung der EU-Verfassung umzusetzen, gilt aber als die bisher größte Herausforderung für die deutsche Bundeskanzlerin und amtierende EU-Vorsitzende Angela Merkel. Sie hat der EU bereits einige Male weiter geholfen. Schon bei ihrem ersten Auftritt auf einem EU-Gipfel im Dezember 2005 ermöglichte sie durch Zugeständnisse Deutschlands die Einigung auf ein Rahmenbudget der Union für 2007 bis 2013.
Auch bei der Lösung des lange festgefahrenen Streits um die Dienstleistungsrichtlinie unter Federführung des EU-Parlaments leistete sie einen wesentlichen Beitrag durch ihre Überzeugungsarbeit bei den Vorsitzenden der größten Fraktionen. Die Deutschen Hans-Gert Pöttering von der Europäischen Volkspartei und der Sozialdemokrat Martin Schulz brachten die meisten ihrer Abgeordneten dann auf Kompromiss-Linie.
"Erweiterung hat Europa wieder vereint"
Und schließlich schwor Merkel die 27 Staats- und Regierungschefs erst vor kurzem auf gemeinsame verbindliche Klimaschutzziele ein. Sie sei eben eine Physikerin, schrieben deutsche Kommentatoren. Konsequent und unaufgeregt verfolge sie ihr Ziel. Dabei sei sie in der Lage, gleich mehrere Schritte ihrer Verhandlungspartner vorauszudenken. So konnte sie letzte Woche sogar den betont verfassungskritischen polnischen Präsidenten Lech Kaczynski auf die Unterstützung der Geburtstagserklärung einschwören.
Nur die Erweiterung habe es zustande gebracht, Europa wieder zu vereinen und die kommunistischen Zwangsregime in den neuen Mitgliedsstaaten in Zentral- und Osteuropa letztlich zu überwinden, wird diese Berliner Erklärung manifestieren. Berlin als ehemals geteilte Stadt im ehemals geteilten Deutschland symbolisiere wie keine andere das Zusammenwachsen Europas, meinte Merkel jüngst. Und die Erklärung wird den Frieden als Errungenschaft der EU preisen.
Doch nach einer jüngst im Auftrag der "Financial Times" durchgeführten Umfrage interessiert das nur noch sieben Prozent der Bürger der fünf größten EU-Staaten. Daher wird die Rettung des Weltklimas, die sich die EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem letzten Treffen auf die Fahnen geheftet haben, wohl ein wesentlicher Bestandteil der Berliner Erklärung mit Blick in die Zukunft sein. Die Rettung des Verfassungsvertrags, zu der die Feiern am Wochenende eigentlich der Auftakt sein sollen, dürfte dagegen nur andeutungsweise Eingang finden.
EU-Verfassung: Drei arbeiten dagegen
Doch die Zeit drängt. Bis zu den Europawahlen 2009 soll der neue EU-Reformvertrag in Kraft treten. Spätestens im Herbst soll sich daher eine Regierungskonferenz auf den Inhalt des Vertrags einigen. Dessen neuerliche Ratifizierung in den Mitgliedsstaaten dauert selbst im besten Fall noch ein weiteres Jahr. Zentrale Teile des in Frankreich und in den Niederlanden per Referendum abgelehnten Vertragswerks müssten erhalten bleiben, eine Neuverhandlung würde den zeitlichen Rahmen sprengen.
Denn bisher haben die Verfassung 18 EU-Staaten ratifiziert, Portugal und Irland stehen ebenfalls voll hinter ihr. Dänemark und Schweden sehen für den vorliegenden Vertrag keine Chancen mehr, auch wenn sie seine Inhalte weitgehend unterstützen. Vor allem Großbritannien, Polen und Tschechien lehnen ihn überhaupt mehr oder weniger offen ab. So hat Warschau ganz grundsätzliche Bedenken gegen Kernstücke des Verfassungsvertrags. Es will das Prinzip der doppelten Mehrheit nicht mehr akzeptieren. Demnach müssten künftig mindestens 55 Prozent der Mitgliedsstaaten, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, für eine gültige Mehrheitsentscheidung in der EU auf einer Seite stehen.
Dänemark und Irland müssen Volk befragen
Polen hätte entsprechend der Bevölkerungszahl weniger Entscheidungsgewicht gegenüber Deutschland als bisher. Das ist allerdings bei weitem nicht die einzige Hürde. Zumindest Dänemark und Irland bleibt etwa für die Ratifizierung laut ihren nationalen Verfassungen kein anderer Weg als ein Referendum. In Frankreich kann sich lediglich der konservative Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy die Verabschiedung eines stark abgeschlankten EU-Vertrags per Parlament vorstellen. Die sozialdemokratische Kandidatin Segolene Royal will dagegen eine erneute Volksabstimmung. Vor der Wahl im Mai ist an eine öffentliche Debatte über das Schicksal des EU-Reformvertrags ohnehin nicht zu denken.
Bis zum Juni-Gipfel einen Konsens zumindest über einen straffen Zeitplan herzustellen, dürfte daher auch der Physikerin Angela Merkel all ihr Verhandlungsgeschick abverlangen.
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