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Nach der Pension der Doktorhut

Von Christoph Rella

Politik

Seniorenstudium: Über Rangkämpfe, Streber und Bürgerkriegsveteranen.


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Wien. Wer kennt sie nicht - jene Kommilitonen älteren Semesters, die meistens mit der Brille auf der Nase in den vorderen Bankreihen im Hörsaal sitzen und fleißig mitnotieren? Dass Seniorenstudenten deswegen "Streber" sind, ist nicht erwiesen, wie ein Blick in die Statistik zeigt. Demnach erreicht nur jeder Fünfte von ihnen tatsächlich einen Universitätsabschluss. Und trotzdem studieren sie - allein an der Universität Wien gibt es 1273 Seniorenstudenten. Und für sie ist das Studium zumeist ein Genuss.

Zu jenen, die sich ohne Scheu als "fleißig" bezeichnen, zählt etwa die Wiener Slawistikstudentin Eva Hain, die im fünften Semester Russisch studiert. Weil sie in der Volkshochschule keinen Platz bekommen hat, wie sie der "Wiener Zeitung" erklärt. In der Vorlesung sitze sie immer vorne. Wegen der "Nebengeräusche". Und weil die Studenten während der Vorlesungen "trinken, essen und rascheln" würden. Dass das Verhältnis zwischen den Senioren und den Jungen getrübt sei, glaubt die 62-Jährige nicht. Vielmehr helfe man einander, so gut es geht: "Junge fragen, ob sie meine Unterlagen kopieren dürfen, und ich, ob sie mir beim Computer helfen."

Professor bat Senioren, für die Jungen Platz zu machen

Den Vorwurf, dass die älteren Semester der Jugend Studienplätze wegnehmen würden, kann Hain nicht nachvollziehen. "Das ist mir noch nie untergekommen", betont sie. Nur ein einziges Mal habe ein Professor in einem stark besetzten Proseminar die Älteren gebeten, Platz zu machen. "Tatsächlich gegangen ist zwar niemand, aber dann hat sich das Problem eh von selbst gelöst", sagt die Seniorin.

Dabei kann von einem Sturm der Pensionisten auf Österreichs Universitäten derzeit keine Rede sein. Wie aus einer aktuellen Sozialerhebung der ÖH hervorgeht, beträgt der Anteil jener Studenten, die bei Erstzulassung über 40 Jahre alt waren, lediglich 1,3 Prozent. Gemeinsam mit jenen Seniorenstudenten, die bereits über einen Abschluss verfügen und nun ein Zweitfach studieren, komme man demnach österreichweit auf insgesamt 2953 inskribierte Pensionisten. 1715 davon sind Frauen. Als Ursache für die Entscheidung, als Pensionist nochmals ein Studium zu beginnen, werden immer wieder dieselben Überlegungen angeführt: Während die einen aus Interesse studieren und sich wie Hain weiterbilden wollen, sagen andere, dass sie früher schon studiert hätten, dies aber aus bestimmten Gründen nicht durften. Weil ihnen die Reifeprüfung fehlte oder weil sie im elterlichen Betrieb mitarbeiten mussten.

Pensionisten müssen nicht ständig simsen und flirten

Besonders beliebt bei den Pensionisten sind Psychologie, Philosophie, Kunstgeschichte und auch Sprachen. Traditionell auf viel Interesse bei den Älteren stoßen vor allem die Geschichtswissenschaften. Wobei in früheren Jahren so mancher Zeitzeuge im Hörsaal für Furore sorgte, wie der Historiker Lothar Höbelt weiß. "Ich hatte mal jemanden, der den Studenten von den Kämpfen 1934 (Schutzbundaufstand gegen die Regierung Dollfuß, Anm.) berichtet hat", erzählt er der "Wiener Zeitung".

Es ist aber nicht nur der reiche Erfahrungsschatz der älteren Generation, sondern auch deren Allgemeinwissen, das Höbelt schätzen gelernt hat. "Viele junge Studenten kommen heute ohne chronologisches Gerüst zu mir in die Vorlesung und wissen nicht einmal, wer Maria Theresia war", so der Professor. Die Senioren dagegen würden zumindest über "halb verdautes Schulwissen" verfügen. Sind Pensionisten deswegen auch fleißiger? Höbelt findet das schon: "Die Älteren haben keinen Freizeitstress und müssen nicht ständig simsen und flirten. Außerdem sind sie es im Gegensatz zu den Jungen noch gewohnt, ein richtiges Buch zu lesen, was sich auch auf die Qualität der Arbeiten auswirkt", meint der Historiker.

Für Eva Hain wiederum reicht es zum Studentenglück, wenn jene Bücher, die sie liest, mit kyrillischen Buchstaben gefüllt sind. Um ihre Russisch-Kenntnisse zu vertiefen, erwägt nun die 62-Jährige sogar einen Auslandsaufenthalt in St. Petersburg. Ohne Erasmus und auf eigene Faust.

Service

(rel) An der Universität Wien können sich Seniorenstudenten an folgende Stellen wenden:

Persönliche Beratung an jedem ersten Montag im Monat zwischen 17 und 18 Uhr in den Räumen der ÖH am Unicampus

(AAKH, Spitalgasse 2, Hof 1) der Universität Wien.

Seniorenstammtisch: Im Anschluss treffen sich Senioren aller Studienrichtungen ab 18 Uhr zum Austausch im Lokal "Uni-Bräu" am Unicampus. Nächster Termin: 5. März 2012.

Für Fragen und Anliegen per E-Mail stehen Herta Spitaler (hwspitaler@gmx.at) und Gerti Zupanich (zuppi@gmx.at) zur Verfügung. Auskünfte erteilt die ÖH Wien unter 01 4277-19501.