Zum Hauptinhalt springen

Nach Exodus aus Idomeni: Mazedonien schiebt Menschen brutal zurück

Von Gregor Mayer aus Idomeni

Politik

Euphorie und Hoffnung der Flüchtlinge wurde von mazedonischen Behörden an der Grenze schnell zerschlagen, | 600 bis 700 Migranten sollen von Mazedonien an Griechenland "zurückgegeben" worden sein.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Idomeni. (apa/dpa) Euphorisch sind sie aufgebrochen, geschlagen kehren sie zurück: Hunderte frustrierte Flüchtlinge, die wegen der Schließung der Balkan-Grenzen in Nordgriechenland festsitzen, scheiterten beim Versuch, an den Grenzzäunen vorbei weiter nach Mitteleuropa zu kommen.

Sie sind erschöpft, durchnässt, und die Enttäuschung ist ihnen ins Gesicht geschrieben. Hunderte Flüchtlinge sind Dienstagfrüh von Mazedonien nach Griechenland zurückmarschiert. Hoffnungsfroh waren sie am Vortag aus dem elenden und verschlammten Camp Idomeni aufgebrochen, um den wenige Kilometer langen Grenzzaun der Mazedonier zu umgehen. Doch die mazedonischen Sicherheitskräfte hielten sie auf ihrem Gebiet auf und zwangen sie mit aller Härte - und möglicherweise illegal - nach Griechenland zurück.

"Wir sahen uns einem Spalier mazedonischer Soldaten gegenüber, bewaffnet und mit Hunden", berichtet Abir, eine 40-jährige Syrerin. Die Menschen hatten da schon einen Marsch von etwa acht Kilometern hinter sich. Noch in Griechenland mussten sie einen Bach überqueren, der wegen der ausgiebigen Regenfälle der letzten Tage zum reißenden Gewässer angeschwollen war. "Die Soldaten ließen uns nicht weiter, aber taten uns soweit nichts, obwohl es bedrohlich war." Ihre Gruppe, erzählt die Syrerin, stellte an Ort und Stelle die aus Idomeni mitgebrachten Zelte auf und übernachtete. "In der Früh machten die Soldaten unsere Zelte kaputt und riefen, wir sollten von hier verschwinden."

Die Berichte der Flüchtlinge lassen sich von unabhängiger Seite vorerst nicht überprüfen. Aber wenn es stimmt, dass Mazedonien hunderte Asylsuchende einfach über die "grüne Grenze", abseits der regulären Grenzübergänge, nach Griechenland zurückgeschoben hat, dann hat es gegen internationales Recht verstoßen. Immerhin meldete die mazedonische Nachrichtenagentur Makfaks am Dienstag unter Berufung auf das Innenministerium in Skopje, dass 600 bis 700 Migranten an Griechenland "zurückgegeben" worden seien. In Athen wusste man nichts davon.

Der Exodus begann am frühen Montagnachmittag im Zentrum des Camps Idomeni. Wie auf ein geheimes Zeichen marschierten junge Männer vornehmlich aus Syrien los in Richtung Chamilo, einem Dorf westlich von Idomeni. Sofort folgten ihnen hunderte weitere Flüchtlinge, nun auch viele Frauen und Kinder, viele nun auch aus dem Irak und Afghanistan. Offenbar schlossen sich viele Migranten an, die nicht im Camp Idomeni, sondern auf Autobahn-Parkplätzen, in Wäldern und leer stehenden Gebäuden der Umgebung hausen. Die Stimmung war euphorisch. "Wir gehen nach Deutschland!", riefen einige junge Afghanen. Bis zu 2000 Menschen könnten sich Schätzungen zufolge dem Treck angeschlossen haben.

Selbst der Hochwasser führende Bach kurz vor der mazedonischen Grenze hielt sie nicht auf. Starke, junge Männer und internationale Freiwillige bildeten eine Menschenkette, um die Schwächeren, die Alten, Frauen und Kinder über das reißende Gewässer zu geleiten. Gepäckstücke, Kinderwagen und Rollstühle wurden über die Fluten gehoben. Am Montag wurden drei Leichen aus dem Fluss geborgen. Die Aktion ist nur mit der Verzweiflung und Frustration der Asylsuchenden zu erklären, die seit der Schließung der sogenannten Balkanroute über Mazedonien in Griechenland festsitzen. Die griechischen Behörden veröffentlichten in der Nacht auf Dienstag ein Flugblatt in arabischer Sprache, das vor dem Exodus in Idomeni verteilt worden sein soll. Der Text verspricht den Menschen fälschlicherweise, dass sie Mazedonien bei einem Grenzsturm mit tausenden Menschen nicht mehr zurückschicken könne.

Vor Gipfel gehen Wogen hoch

Signiert ist das Flugblatt mit "Kommando Norbert Blüm". Der deutsche Ex-Politker hatte am Wochenende aus Solidarität mit Flüchtlingen eine Nacht im Zelt in Idomeni verbracht. Über die Urheberschaft gab es keine gesicherten Erkenntnisse. Stecken junge deutsche Linksradikale dahinter, die sich als humanitäre Helfer engagieren? Oder wollte jemand eine falsche Fährte legen? Der Sprecher des UNO-Hilfswerks UNHCR in Idomeni, Babar Baloch, hält es für möglich, dass der Flyer das Werk von kriminellen Schmuggler-Netzwerken war. Norbert Blüm selbst hat damit jedenfalls nichts zu tun, wie der frühere Bundesminister in mehreren Interviews versicherte.

Am Freitag sollen die EU-Staats- und Regierungschefs mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu über den höchst umstrittenen geplanten "Flüchtlingsdeal" beraten. Nach bisher getroffenen Absprachen soll sich Ankara verpflichten, alle Flüchtlinge aus Griechenland zurückzunehmen. Im Gegenzug soll die EU anerkannte syrische Kriegsflüchtlinge im Verhältnis eins zu eins aus der Türkei aufnehmen.

Die Türkei wiederum verlangt als Gegenleistung zusätzlich drei Milliarden Euro bis Ende 2018 zu den bereits beschlossen drei Milliarden Euro, welche die EU Ankara zur Versorgung von Flüchtlingen gibt. Außerdem will Ankara eine vorgezogene Visabefreiung ab 1. Juni für türkische Staatsbürger und Fortschritte bei den EU-Beitrittsverhandlungen. Doch nach wie vor legt sich vor allem Zypern gegen den Deal quer.