Kleines Deutschland-Quiz: Die drittgrößte Stadt - nach Berlin und Hamburg? Noch ist der Platzhalter Möckern, doch in wenigen Wochen wird es auf Rang vier verdrängt - flächenmäßig.
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Mit 632 Quadratkilometern wird Gardelegen ab 2011 drittgrößte Stadt in ganz Deutschland werden. Allerdings wohnen in der künftigen "Großstadt" nur 24.300 Einwohner. Das sind 38 je Quadratkilometer. Zum Vergleich: In München sind es 4290.
632 Quadratkilometer, das ist eineinhalb Mal die Fläche Wiens! Wie kommt dieses unbekannte Städtchen zu mehr als 30 Ortschaften und einer solch riesigen Verwaltungsfläche? Durch die Gemeindegebietsreform, sprich teils freiwilliger, teils erzwungener Eingemeindung. Konflikte sind programmiert.
Gardelegen - schon seine Lage in der alten Kulturlandschaft der "Altmark", auch "Wiege Preußens" genannt, ist mit ihren zahlreichen Flüsschen und Bächen, Eichen- und Buchenwäldern und den ausgedehnten Hopfenfeldern sehenswert. Hopfen und Malz waren es auch, die dem jetzt tausendjährigen Städtchen einen gewissen Wohlstand bescherten. Ein Markgraf Waldemar erteilte der Stadt im Jahre 1314 das Recht zur Malzherstellung. Kurz vor dem 30-jährigen Krieg wurde in fast 250 Häusern der Stadt Bier gebraut.
Und zwar das sogenannte Garley, immerhin die älteste Biermarke sowie der älteste durchgehend bestehende Markenname der Welt. In Zeidlers Universal-Lexicon aus dem Jahre 1733 so beschrieben: "Das Garlebische Bier in der alten Marck ist ein angenehmes und gesundes Geträncke, es vermehret die natürliche Wärme, und giebt den Bürgern, wegen der starcken Abfuhre, sehr gute Nahrung. Es wird aus dem Hopffen gekocht, welcher daselbst in allen Gärten häuffig gezeuget, und wegen seine Güte bis in Dännemarck geführet wird."
Schon vor 400 Jahren riss es den aus der Steiermark stammenden Reiseschriftsteller Martin Zeiller zu folgendem Hymnus hin: "Sag, wer möchte nicht stets in dir leben, o Stadt, die du überströmst von so lieblichem Getränk? Alles, was man zum Leben braucht, fließt reichlich dir zu ob deines Bieres nektarischer Kraft." Prost!
Doch Gardelegen hat noch weit mehr zu bieten als das goldene, schäumende Getränk. Zum Beispiel das sehenswerte Rathaus mit seiner schön gegliederten, spätgotischen Backsteinfassade, den Arkaden mit Sternengewölbe, den reichgewölbten Innenräumen, dem Hausmannsturm mit doppelter Laterne und dem Wappengepränge an den Flanken.
Oder die 600 Jahre alte Marienkirche. Oder St. Nicolai, eine der schönen alten norddeutschen Backsteinkirchen. Ursprünglich eine romanische Basilika, wurde sie um 1300 gotisch überbaut und anfangs des 16. Jahrhunderts mit weiteren Anbauten versehen. Ein uraltes Hospital für "unverehelichte gebrechliche Bürgertöchter", ein imposantes Stadttor aus dem 16. Jahrhundert und eine Roland-statue runden das Bild eines gemütlichen, traditionsreichen Städtchens.
Bekanntester Sohn der Stadt ist der Kleinkünstler Otto Reutter. Er hinterließ mehr als 1000 mehrstrophige Couplets. Tucholsky schrieb 1921 in der "Weltbühne": "Alles geht aus dem leichtesten Handgelenk, er schwitzt nicht, er brüllt nicht, er haucht seine Pointen in die Luft, und alles liegt auf dem Bauch." Kostprobe gefällig: "Bevor du sterbst, musst du noch einmal lachen,/Nicht denen, dir musst du ne Freude machen./Ruf diese Bande. Komm se dann in Masse,/Und könn nicht weinen, zeig ihn die leere Kasse./Wenn sie die sehn, da kränken sie sich tüchtig,/
Da wern se traurig, und dann wein se richtig./Und wenn se wein, zeig ihnen deine Lende./Und lach dich tot. Das ist das schönste Ende!"
Markus Kauffmann, seit rund
25 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.