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Nach Kommunismus kam Karaoke

Von Chhay Sophal

Politik

Pailin - Pol Pot würde sich im Grabe umdrehen. Das harsche Regime der kommunistischen Roten Khmer hatte Unterhaltung, Geld und sogar Liebe verboten, um seine Utopie eines reinen Agrarstaats Kambodscha zu verwirklichen. Was davon blieb, ist das Gegenteil - ein Paradies für jene, die Glücksspiel, Alkohol, Sex und Rauschgift suchen.


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Die verkommene Stadt Pailin im Dschungel an der Grenze zu Thailand ist eine Hochburg der früheren Roten Khmer. Hier lebten viele Kämpfer der Gruppe, die sich 1998 auflöste, als sich ihre letzten Mitglieder ergaben. Die Einnahmen der Stadt stammen nun aus Casinos, die von früheren Kadern der Khmer geleitet werden. Die meisten Besucher der Spielhallen, Karaoke-Bars und Bordelle kommen aus Thailand. Einstige Führer der Roten Khmer genießen in Pailin einen angenehmen Ruhestand. Von den zögernden Versuchen, sie vor einem internationalen Gericht zur Rechenschaft zu ziehen, blieben sie bislang unberührt. Die einstigen Befehlshaber in den Reihen der Roten Khmer sagen, sie hätten von den Gräueltaten des Regimes nichts gewusst. Von 1975 bis 1979 wurden 1,7 Millionen Menschen durch Hinrichtungen und Folter getötet oder starben an Hunger. Die ehemaligen Kämpfer schieben jedoch alle Schuld auf Pol Pot, den "Bruder Nummer Eins" des Regimes. Pol Pot starb 1998. Der "Bruder Nummer Zwei", Nuon Chea, der als der Ideologe der Bewegung galt, lebt unbehelligt in der Nähe von Pailin. Er sagt, die Zeiten hätten sich geändert. Doch er habe die Ideale, die ihn dazu brachten, sich vor Jahrzehnten den roten Khmer anzuschließen, nicht aufgegeben. "Ich habe die Ungerechtigkeit, die Korruption und die Ausschweifungen der Kolonialgesellschaft gehasst", meint Nuon Chea in seinem Haus in einem Bambuswald, nur 50 Meter von der Grenze zu Thailand entfernt. Nuon Cheas Nachfolger zeigen hingegen keine Anzeichen, den alten Idealen zu folgen. Nicht nur, dass sie nicht gegen Ausschweifungen vorgehen, sie machen mit Casinos und Massagesalons Geld. Es heißt auch, dass führende rote Khmer in den Rauschgiftschmuggel verwickelt seien. Durch Gebiete der roten Khmer führten Vertriebswege aus Burma in die Hauptstadt Kambodschas, Phnom Penh, sagte Graham Shaw vom Büro für Drogenkontrolle und Verbrechensbekämpfung der UNO. Die Casinos von Pailin sind Orte der Gesetzlosigkeit. Sie werden bewacht. Unter den Wachen sind viele Jugendliche, bewaffnet mit Kalaschnikows. Viele der thailändischen Gäste bringen ihre eigene Truppe von Leibwächtern mit. Neben Glücksspiel und Sex unterhalten Hahnenkämpfe und Boxen die Besucher. Rauschgift ist leicht zu bekommen. Suong Sikoeun, ein früherer Mitarbeiter des Außenministers der Roten Khmer, sagte, er sei geschockt, wie dekadent die Stadt geworden sei. Viele hier nähmen Drogen. "Das ist gegen unsere Prinzipien", sagte er. Doch viele Leute brauchten das Geld dringend, das mit Rauschgifthandel zu machen sei. "Wenn einer 2000 Pillen verkauft, kann er sehr reich werden", sagte Sikouen.