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Nach Lehre mit Matura jetzt Matura mit Lehre

Von Wolfgang Zaunbauer

Politik

Die Bildungsvisionen von Wirtschaftskammerpräsident Leitl: Mehr Individualisierung und attraktivere Lehre.


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Wien. Seine große Schulliebe war die deutsche Literatur. Doch anstatt sich ausgiebig in Goethe und Schiller zu vertiefen, "musste ich 90 Prozent meiner Energie auf die Angstfächer Mathematik, Physik und Latein verwenden". Dieses Schicksal - was man gerne und gut macht zu vernachlässigen, um sich völlig auf das zu konzentrieren, was einen nicht besonders interessiert und einem nicht sonderlich liegt - will Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl den zukünftigen Schülern ersparen. Der seit Samstag 65-Jährige fordert mehr Individualisierung des Unterrichts - und hat auch sonst einige Bildungs-Ideen auf Lager.

Leitl fordert "ein System, das Talentreserven hebt", wie er am Montag vor Journalisten erklärte. Die Lehrpläne würden von allen Schülern das selbe Niveau verlangen. "Wo Probleme da sind, reitet man darauf herum. Wo mehr Talent ist, liegt es brach." Stattdessen soll im Zuge einer Individualisierung des Unterrichts von einem Schüler in besseren Fächern mehr, in schwächeren Fächern weniger verlangt werden. Wobei natürlich am Ende der Schulpflicht sichergestellt werden müsse, dass gewisse Mindeststandards erreicht seien. Das Alter soll dabei jedoch nicht eine starre Grenze bilden: "Zur Not dauert es dann halt ein Jahr länger."

Nicht einfach "schulscheu"

Gleichzeitig braucht es aus Sicht des WKO-Präsidenten aber auch eine verpflichtende Potenzialanalyse aller Schüler. Mit ihr soll letztlich festgestellt werden, wo die Begabungen der jungen Leute sind. Ziel soll sein, dass jeder 19-Jährige entweder einen Schul- oder einen Berufsabschluss hat. Gerade jene 8000 Jungen, die jedes Jahr ohne Schul- oder Lehrabschluss abbrechen - "gesellschaftlicher Sprengstoff" -, seien keineswegs einfach "schulscheu", sondern oft durchaus talentiert. Aber das Talent wird oft einfach nicht erkannt.

Für Leitl, einen bekennenden Fan des dualen Bildungssystems, geht es aber nicht nur um Schul- oder Berufsabschluss, sondern immer mehr um Berufs- und Schulabschluss. Nachdem in den letzten Jahren die Bemühungen im Bereich "Lehre mit Matura" intensiviert wurden, will Leitl künftig auch den anderen Weg gehen: "Matura mit Lehre." Nach abgeschlossener AHS-Matura soll es möglich sein, innerhalb eines Jahres (statt bisher in zwei) einen Lehrabschluss nachzuholen.

Kritikern - am Montag sprach sich etwa die Gewerkschaftsjugend gegen eine solche "Expresslehre" aus - hält Leitl entgegen, dass etwa im Strafvollzug einjährige Lehren durchaus gängig sind.

Schon jetzt gibt es die Möglichkeit, ein Gymnasium zu besuchen und gleichzeitig eine Lehre zu machen - allerdings noch sehr eingeschränkt. So kann man etwa im Privatgymnasium Werkschulheim Felbertal in Ebenau bei Salzburg schulbegleitend eine Lehre in Maschinenbautechnik, Mechatronik oder Tischlereitechnik machen. Weit verbreitet sind solche verschränkten Schulformen allerdings nicht.

Neue Berufsakademien

Egal ob Beruf oder Schule, "Bildung darf keine Sackgasse sein", sagt Leitl und fordert die Möglichkeit ständiger Weiterentwicklung. So startet das Wirtschaftsförderungsinstitut Wifi heuer gemeinsam mit der FH Wien eine Berufsakademie für Absolventen einer Handelslehre. Hieß es bisher "Du wirst Verkäuferin", gibt es künftig die Möglichkeit einer berufsbegleitenden Höherqualifizierung auf akademischem Niveau: entweder in zwei Semestern zum "Akademischen Handelsmanager" oder in vier Semestern zum "Master of Science (MSc) Handelsmanagement". Für Herbst ist - in Zusammenarbeit mit der Steinbeis-Hochschule Berlin - eine Berufsakademie für Mechatronik geplant. Damit habe man die "dritte Säule der akademischen Ausbildung in Österreich geschaffen", so Karl Pisec, Kurator des Wifi.

Durch die Möglichkeit einer Berufsakademie erhofft sich die Wirtschaftskammer auch, dass die Studenten den Bezug zu ihrem Beruf bewahren. Dieser gehe oft verloren, wenn nach der Lehre an einer Uni studiert werde. Auch würde das Image der Lehrberufe gehoben, glaubt man in der Wirtschaftskammer.

An Pisa festhalten

Was den von Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek abgesagten Pisa-Test angeht, so ist Leitl für eine Durchführung - zur Not auch nur in einem Bundesland. Oberösterreich, wo Leitl herkommt, will den Test auch im Alleingang durchführen - für den WKO-Chef kein Problem, schließlich würde in Kanada etwa auch die Region Quebec eigenständig teilnehmen. Daher könne man durchaus von einem Bundesland auf ganz Österreich schließen.

Michael Landertshammer, Leiter der bildungspolitischen Abteilung der Kammer, warnt vor einer Absage des Tests, "sonst fehlt faktenbasiertes Wissen über die Entwicklungen". Außerdem seien schon 1,3 Millionen Euro in den Test investiert worden. Mit der Absage aufgrund technischer Probleme wolle sich die Regierung "Zoff" ersparen, weil mit keinen verbesserten Testergebnissen zu rechnen sei. "Es ist nicht sinnvoll, die Alarmanlage auszuschalten, nur weil man vom Alarm nicht gestört werden will", sagt Leitl.