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"Nach Lodz und Auschwitz suchte ich das Lachen"

Von Gabriele Lesser

Politik

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Arnold Mostowicz mochte den Kult um die toten Juden nicht. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin war ihm ein Dorn im Auge: "Wir leben doch noch", empörte er sich. "Da verpulvern sie Geld, um sich selbst an ihre Schandtaten zu erinnern, aber den KZ- und Ghetto-Überlebenden in Polen eine Rente zahlen, das wollen sie nicht!" Der langjährige Vorsitzende des Verbandes der jüdischen Kriegsveteranen und Verfolgten des Nazi-Regimes hatte sogar eine Demonstration in Berlin erwogen. Auf dem Transparent sollte stehen: "Ihr habt uns vergessen! Wir leben noch!", doch seine Freunde hielten ihn zurück: "Wir sind nicht mehr zwanzig. Eine Zugfahrt nach Berlin würde zu viele Erinnerungen wachrufen, die wir nicht mehr verkraften. Und wer hätte etwas davon, wenn wir in Berlin tot aus dem Zug fielen?"

Der Arzt, Schriftsteller und Journalist Arnold Mostowicz wurde 1914 in Lodz geboren. Die Familie seines Vaters stammte aus dem chassidischen Milieu eines ostpolnischen Schtetls. Der Großvater studierte ein Leben lang den Talmud, während die Großmutter die Familie mit einem kleinen Gemüsestand ernährte. Sein Vater ging erst nach Lodz, ins damalige "gelobte Land", studierte dann in Warschau und wurde Theaterregisseur und Schriftsteller. Er reiste mit dem damals schon berühmten jiddisch-schreibenden Schriftsteller Scholem Alejchem durch Polen, kehrte nach Lodz zurück und heiratete dort in eine angesehene assimilierte Lodzer Arztfamilie hinein. Arnold Mostowicz hat die Traditionen beider Familien fortgeführt, studierte in den 30er Jahren Medizin in Frankreich und wurde nach dem Krieg Schriftsteller und Chefredakteur der bedeutendsten Satirezeitschrift Polens "Szpilki" (Stecknadeln).

"Nach dem Krieg konnte ich nicht mehr als Arzt arbeiten. Ich konnte keine Kranken mehr sehen. Ich suchte das Lachen", erzählte Mostowicz, als er Anfang der 90er Jahre seine ins Deutsche übersetzten Erinnerungen an das Warschauer und Lodzer Ghetto veröffentlichte: "Der blinde Maks oder Passierschein durch den Styx." Mostowicz hatte kurz vor Kriegsausbruch sein Medizinstudium in Frankreich abgeschlossen, war zurück nach Polen gekommen und arbeitete zunächst als Krankenhausarzt im besetzten Warschau. 1940 sperrten die Nazis ihn und einen Teil seiner Familie im Ghetto Litzmannstadt (Lodz) ein, wo er versuchte, den Kranken zu helfen. Doch meist verlor er den Kampf gegen Hunger und Krankheit. Und so stellte er Todesurkunden aus, auch diejenigen, auf denen der eigene Nachname stand. "Ich konnte fast nichts für meine Familie tun. Sie starben vor meinen Augen, Tanten, Onkel, Neffen und Nichten. Von der Familie meines Vaters habe nur ich überlebt." Der Vater Mostowiczs starb in Treblinka. Von der Mutter fehlt bis heute jede Spur.

1944 kurz vor der Auflösung des Ghettos wurde er ins KZ Auschwitz gebracht, von dort in die Arbeitslager Grünberg, Bad Warmbrunn, Erlenbusch, bis er 1945 befreit wurde.

Als 1987 in Wien 400 Farbdias vom Lodzer Ghetto auftauchten, die der österreichische Nazibuchhalter des Ghettos Franz Genewein gemacht hatte, war Mostowicz fassungslos: "Das Leben war bunt. Es gab Farbe im Ghetto. Das hatte ich ganz vergessen." Der Dokumentarfilmer Dariusz Jablonski griff die Reaktion Mostowiczs für seinen Film "Der Fotograf" auf, indem er das heutige Lodz und das Interview mit dem schon greisen Mostowicz in Schwarz-Weiß drehte und die Farbdias aus dem Lodzer Ghetto immer wieder dazwischenschnitt. Mit seinem Buch "Der blinde Max" und dem preisgekrönten Film "Der Fotograf" wurde Mostowicz auch im Westen berühmt. In der Vorwoche starb er 88jährig in Warschau.