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Nach roter Aufholjagd: SPD und CDU in Hessen gleichauf

Von WZ-Korrespondent Markus Kauffmann

Europaarchiv

Union könnte in Hessen laut Umfrage elf Prozent verlieren. | In Niedersachsen zeichnet sich Fortsetzung von CDU/FDP-Koalition ab. | Hessens CDU-Mann Roland Koch will rechten Rand mobilisieren. | Berlin. Zehneinhalb Millionen Wähler sind am kommenden Sonntag zu den Urnen gerufen, um in den deutschen Bundesländern Niedersachsen und Hessen neue Landtage zu wählen. Während sich in Niedersachsen eine mögliche Fortsetzung der CDU/FDP-Regierung abzeichnet, ist in Hessen der Wahlausgang offen. Nach einer enormen Aufholjagd hat die SPD dort mit der CDU gleichgezogen und liegt bei 38 Prozent. Im Vergleich zur Landtagswahl 2003 würde die CDU damit fast elf Punkte verlieren, die SPD beinahe neun Punkte zulegen. Momentan gäbe es dort nur eine Mehrheit für eine große Koalition oder ein Regierungsbündnis aus drei Parteien. Offen ist in Hessen wie in Niedersachsen, ob die Linke den Einzug in den Landtag schaffen wird.


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Hessen und Niedersachsen gingen der SPD in der Ära Schröder verloren, im größeren Niedersachsen regiert seit 2003 der ziemlich beliebte Christian Wulff, im reicheren Hessen seit 1999 der ziemlich unbeliebte Roland Koch; beide noch nicht 50 Jahre alt, beide Stellvertreter der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel und beide Rechtsanwälte.

Christian Wulff hat in Niedersachsen das alte Problem des Favoriten am Hals. Trotz leichter Verluste für seine CDU in den letzten Umfragen - ein bekanntes Phänomen für alle Amtsinhaber - zweifelt niemand an seiner Wiederwahl. Wahlstrategen fürchten gerade diesen "g´mahde-Wies´n-Effekt" wie der Teufel das Weihwasser: Bei immer noch vierzig Prozent Unentschlossenen werden erst die letzten Tage und Stunden entscheiden, wer seine Anhänger besser mobilisieren kann.

Roland Koch indes kann diesen Effekt getrost vergessen; ihn quälen andere Kopfschmerzen: Bei allen Umfragen steht es in Hessen "Spitz auf Knopf", wie man hier eine Sache nennt, die sehr knapp ausgehen kann. Die weithin unbekannte Andrea Ypsilanti, eine attraktive, sympathische 51-jährige Soziologin, prononcierte Parteilinke und seit einem Jahr Oppositionsführerin, hat eine sensationelle Aufholjagd hingelegt, ihre SPD bis auf einen Prozentpunkt an die CDU herangeführt und Titelverteidiger Koch in der Beliebtheit sogar überholt.

An den Rändern fischen

Was der einen ihr Mindestlohn, ist dem anderen sein ausländischer Jungrowdy - könnte man die letzte Phase des hessischen Wahlkampfs übertiteln. Ypsilanti sitzt die Linke im Nacken, weshalb sie alles tut, um deren Leib- und Magenthema eines gesetzlich garantierten Mindestlohnes für die SPD zu reklamieren. Um die Grünen auf Distanz zu halten, setzt sie konsequent auf einen Anti-Atomkurs. Das hat ihren Noch-Parteifreund Wolfgang Clement veranlasst, indirekt vor ihr und ihrer Wahl zu warnen. Auch will sie die von Koch eingeführten Studiengebühren wieder abschaffen.

Koch hingegen griff einen Fall auf, bei dem zwei ausländische Jungkriminelle einen Rentner in einem Münchner U-Bahnhof krankenhausreif getreten hatten, und löste damit eine heftige bundespolitische Debatte aus. Damit konnte er wahrscheinlich auf dem rechten Spektrum einige unsichere Stimmen aktivieren. Die Frage, ob dies aber die Verluste auf der linken Mitte ausgleichen kann, muss bis zum 27. Jänner offen bleiben. Obwohl die große Mehrheit die Ausländerkriminalität als ein wichtiges Problem einstuft und - wie Koch - härtere Maßnahmen befürwortet, scheint diesmal die rechte Karte nicht zu stechen. Zu viele werten seinen Vorstoß als rein wahltaktisches Manöver, das zu sehr an die umstrittene Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft erinnert, mit deren Hilfe damals Koch der Sprung in die Staatskanzlei gelang.

Linke im Aufwind

Koch und Ypsilanti ist gemeinsam, dass sie beide an den politischen Rändern fischen, gleichzeitig aber die Mitte für sich reklamieren müssen. Wer am Abend des nächsten Sonntag aus diesem Spagat-Wettbewerb als Sieger hervorgehen wird, hängt aber nicht zuletzt von einer kleineren Partei ab. Die FDP hat sich, ebenso wie die Grünen, festgelegt - sie bestätigen die Lagertheorie, Schwarz-Gelb gegen Rot-Grün.

Zünglein an der Waage könnte aber die Linke des Duos Lafontaine-Gysi werden, die in beiden Ländern an die Fünf-Prozent-Hürde herankommt und erstmals in Westdeutschland Fuß fassen könnte. Dann wäre für die SPD Rot-Grün-Rot (als Duldung oder Regierungsbündnis) oder Große Koalition möglich. Es sei denn, die SPD verzichtete freiwillig auf die Unterstützung durch die Linke.

Fakten

Traditionell wählen Niedersachsen und Hessen zum gleichen Termin. Niedersachsen ist flächenmäßig der zweitgrößte Teilstaat und hat fast 11 Millionen Einwohner. Davon sind am Sonntag rund 6,1 Millionen wahlberechtigt, ungefähr so viele wie das wesentlich kleinere Hessen Einwohner zählt, von denen wiederum nur knapp 4,4 Millionen wählen gehen dürfen.

Derzeit regiert in Niedersachsens Hauptstadt Hannover eine CDU/FDP-Koalition unter Ministerpräsident Christian Wulff mit einer Mandatsmehrheit von 106 zu 77. Laut jüngstem ZDF-Politbarometer wollen 57 Prozent weiterhin Wulff als Landeschef, den SPD-Gegenkandidaten Wolfgang Jüttner wollen hingegen nur 23 Prozent.

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In Hessens Wiesbaden regiert Roland Koch (CDU) mit absoluter Mehrheit. Im Gegensatz zu Wulff polarisiert seine Person stark. Dies liegt zum Teil an seiner Rhetorik, aber auch an einer kantigen Politik: So führte er gegen großen Protest Studiengebühren ein, betrieb die Privatisierung zweier Universitätskliniken und entließ die TU Darmstadt als erste Universität in die Autonomie. Er will die Option für den Bau neuer Atomkraftwerke offen halten und setzte ein rigoroses Kopftuchverbot im Landesdienst durch.

Bei der Frage nach dem bevorzugten Ministerpräsidenten haben sich in Hessen die Präferenzen deutlich verschoben. Wollten im Dezember noch 45 Prozent Roland Koch und nur 32 Prozent SPD-Frontfrau Andrea Ypsilanti, so wollen jetzt 46 Prozent Ypsilanti und nur noch 36 Prozent Koch. Als die wichtigsten Probleme in Hessen werden Bildung und Arbeitslosigkeit genannt.