Wien - Eigentlich wollte Jacques Santer im März 1999, als die Skandale in der EU-Kommission aufflogen, "so schnell wie möglich in den Ruhestand" gehen. Doch der ehemalige EU-Kommissionspräsident konnte nicht lange stillhalten. Nach seinem unrühmlichen Abgang trat er 2000 für Luxemburg bei den EU-Wahlen an und wurde Abgeordneter. Die Kandidatur zum Bürgermeister von Luxemburg schlug fehl. Nun kommt der 65-Jährige doch noch in eine Spitzenposition: Im März 2003 wird er Chef des Europäischen Wirtschaftsbundes.
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Machtmissbrauch, Korruption und Vetternwirtschaft - die EU-Kommission unter ihrem Präsidenten Jacques Santer stand Anfang 1999, nachdem die Finanzskandale aufgeflogen waren, monatelang im Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik. Ein Untersuchungsbericht kam zum Schluss, dass die Kommission die Kontrolle über die Verwaltung und die Finanzen verloren hatte: Mittel wurden ohne entsprechende Prüfung vergeben. Die Missstände hatten schon Jahre zuvor ihren Anfang genommen. Millionen, eigentlich für Projekte in Bosnien und Afrika bestimmt, versickerten in dunklen Kanälen. Europaabgeordnete warfen der Kommission vor, die Machenschaften und Betrügereien zu decken.
Manch ein Kommissionsmitglied, wie etwa Edith Cresson, wurde schwer belastet. Als Hauptverantwortlicher musste Kommissionspräsident Santer den Hut nehmen, mit ihm trat dann die gesamte Kommission am 16. März 1999 zurück.
Danach versprach der ehemalige langjährige Ministerpräsident von Luxemburg, "er wolle sich so schnell wie möglich in den Ruhestand" verabschieden. Doch Santer konnte sich nicht gänzlich von politischen Ämtern lossagen. Im September 1999 kandidierte er für den Posten des Bürgermeisters der Stadt Luxemburg. Er unterlag.
Damit nicht genug, kandidierte er im darauf folgenden Jahr für die christlich-soziale Volkspartei bei den Europa-Wahlen. Seither ist er Abgeordneter im EU-Parlament, das eigentlich seinen Abgang heftig betrieben hatte. Seit März 2001 ist Santer Co-Präsident des Europäischen Wirtschaftsbundes. Eigentlicher Chef ist derzeit noch der österreichische EU-Abgeordnete Paul Rübig. Am 27. März 2003 wird er sein Amt an den designierten Nachfolger Santer übergeben, gab er gegenüber der "Wiener Zeitung" bekannt.
In dieser Funktion ist der ehemalige Kommissionspräsident nun Sprecher für 18 Millionen europäische Klein- und Mittelbetriebe. Jeder von ihnen hat weniger als 250 Mitarbeiter, doch insgesamt beschäftigen die Unternehmen zwei Drittel der Arbeitnehmer.