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Paris - Durch den rechtsextremen Vorstoß im ersten Durchgang der französischen Präsidentenwahl zur Unterstützung des konservativen Kandidaten Jacques Chirac (RPR) gezwungen, befindet sich Frankreichs Linke in einer tief greifenden Krise. "Viele unserer Partner verstehen noch nicht, dass die freie Vereinigung, welche die ,pluralistische' Linke war, nun am Ende ist", erklärte der Sozialist Christophe Cambadelis. "Daher werden die Verhandlungen sehr schwierig sein, um ein gemeinsames Projekt auszuarbeiten."
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In der Tat ließ noch wenige Wochen vor der Niederlage des sozialistischen Premiers Lionel Jospin im ersten Durchgang der Präsidentenwahl nichts dieses Debakel vorhersehen. Jospin genoss das Ansehen eines integren und zuverlässigen Politikers, der nach seiner eigenen Parole "sagt, was er macht und macht, was er sagt". Als Regierungschef brachte er einige bedeutende Reformen durch, allen voran die Einführung der 35-Stunden-Woche und der kostenlosen "universellen" Krankenversicherung.
Der plötzliche Absturz Jospins brachte den in der "pluralistischen" Linksregierung federführenden Sozialisten harte Hegemonie-Vorwürfe seitens der Koalitionspartner ein. Besonders schmerzlich war bei der Niederlage, dass der Linkskandidat Jospin bei der Präsidentenwahl durch den Front-National-Chef Jean-Marie Le Pen aus dem Rennen geworfen wurde. Am stärksten bezahlten die Kommunisten ihre fünfjährige Regierungsbeteiligung. Der PCF-Chef und Präsidentschaftskandidat Robert Hue bekam nur noch 3,5 Prozent der Wählerstimmen. Das schlechte Ergebnis stellt das Überleben der Partei selbst in Frage.
Zunächst haben sich Sozialisten, (linksliberale) Radikalsozialisten (PRG), Grüne, Kommunisten und die "Bürgerbewegung" MDC des ehemaligen Innenministers Jean-Pierre Chevenement darauf geeinigt, in der Stichwahl Le Pen mit allen Mitteln zu bekämpfen. Ein schwaches Ergebnis des Rechtsextremisten wäre ein Beweis dafür, dass die Linksparteien ihre Wähler noch "in der Hand haben" und es erlauben, das Ergebnis vom 21. April als "Unfall" einzustufen.
Seit vergangener Woche führt PS-Chef Francois Hollande daneben auch Aussprachen mit sämtlichen Parteichefs der "pluralistischen Linken". Das erklärte Ziel ist es, ein gemeinsames Projekt in Hinblick auf die Parlamentswahlen vom 9. und 16. Juni auszuarbeiten. Nachdem Jospin den Einzug in den Elysee-Palast verpasst hat, hegen die Sozialisten nun die Ambition, erneut einen Premierminister zu stellen. Sämtliche Linksparteien außer der MDC haben sich unterdessen darauf geeinigt, bei der Parlamentswahl in all jenen Wahlkreisen, in denen die FN siegen könnte, einen Einheitskandidaten ins Rennen zu schicken.
Die MDC zeigte sich in Hinblick auf eine künftige Allianz noch vorsichtiger. Man darf dabei nicht vergessen, dass Jean-Pierre Chevenement während des Präsidentenwahlkampfes eine heftige Kampagne gegen Jospin führte und öffentlich versprach, sich vor dem zweiten Durchgang nicht auf die Seite der Linken zu schlagen. Für den PS-Dissidenten und Ex-Minister steht daher die politische Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Die "Bürgerbewegung" erklärte sich zwar zu gewissen "Arrangements" bereit. An einer am Dienstag angesetzten geplanten Sitzung der Linksparteien zur Wahlvorbereitung beteiligte sich die MDC nicht. Chevenement setzt weiterhin auf die Möglichkeit, durch einen "republikanischen Pol" Wähler aus dem linken und rechten Lager anzuziehen. In diesem Sinne steht am 11. und 12. Mai ein "Parteitag der republikanischen Wiederbegründung" auf dem Programm.
Die Möglichkeit einer linken Einheitspartei nach dem Modell der von den bürgerlichen Parteien RPR (Neogaullisten), "Democratie Liberale" (DL) und UDF (Zentrumsdemokraten) ins Leben gerufenen "Union pour la Majorite' Presidentielle" (UMP) scheint wohl nicht in Reichweite zu sein. Die Kommunisten sind dagegen, weil sie befürchten, dadurch zum "linken Flügel" der sozialistischen Partei reduziert zu werden. Die Grünen, die erst seit 1997 wesentliche Erfolge in Frankreich feiern, wollen ihr junges Urnenglück nicht so rasch wieder aufgeben. Der Grünen-Kandidat bei der Präsidentenwahl, Noel Mamere, forderte die Sozialisten vielmehr dazu auf, seine Partei als zweitstärkste Kraft im linken Lager anzuerkennen.
Noch weniger scheint die extreme Linke zu einem Kompromiss mit der parlamentarischen Linken bereit. Die beiden Trotzkisten Arlette Laguiller (Lutte Ouvriere, LO) und Olivier Besancenot (Ligue Communiste Revolutionnaire, LCR) erhielten am 21. April gemeinsam 10 Prozent der Stimmen. Die LCR schlug die Gründung einer "großen antikapitalistischen und ökologischen Bewegung" vor, deren Aufgabe sein soll, außer den eigenen auch die von der "pluralistischen Linken" enttäuschten Wähler aufzunehmen.