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Die Sendereihe "Von Tag zu Tag", wochentags um 14.05 Uhr auf Ö1 ist immer so gut wie ihr Gastgeber und ihr Gast. Am Montag hatte sich Rainer Rosenberg den tschechischen Schriftsteller und Botschafter Jiri Grusa ins Studio geladen, und siehe da, "Von Tag zu Tag" war besser als sein Ruf. Rosenberg ist ein gut vorbereiteter Gastgeber, der sich bestimmt auch im Fernsehen gut machen würde.
Mit Grusa kam eine spannende Mischung aus zeitgeschichtlichen und soziologischen Themen zur Sprache, die Österreich und Tschechien berühren: Von der Vertreibung der Sudetendeutschen über die Benesch-Dekrete, das Verhältnis der Nachbarn zueinander und die Frage, ob sich die Tschechen tendenziell eher nach Deutschland orientierten, als nach Österreich zu blicken? "Jein", lautete die Antwort, das protestantisch städtische Tschechien kommuniziere mit Berlin, das katholisch konservative Land dagegen halte auf die Beziehungen zu Wien. Das Bonmot von Karl Kraus, demgemäß das Trennende zwischen den Deutschen und den Österreichern die gemeinsame Sprache sei, adaptierte Grusa in Bezug auf Tschechen und Österreicher dahin gehend, dass es der gemeinsame Charakter sei, der nahezu unüberwindlich zwischen den Nachbarn stehe.
Manch ein Anrufer thematisierte denn auch aus der Geschichte resultierende Probleme zwischen den Nachbarn; die meisten allerdings blickten in die Zukunft. Vor lauter Politik kam der Schriftsteller Grusa zu kurz. Am Ende las er dann doch noch ein Gedicht vor, was dem Nachbarschaftstreffen eine familiär-feierliche Note gab.