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Nachdenken über Europa in Zeiten der Flüchtlingskrise

Von Thomas Seifert

Politik

Eine Internationale Expertentagung im Wiener Kreisky-Forum sucht Wege aus der "europäischen Multikrise".


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Wien. Es geht um die Flüchtlingskrise. Um Europa. Um die Ukraine und um eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Gertraud Auer D’Olmo, Direktorin des Bruno Kreisky Forums für internationalen Dialog, hat einige der klügsten Außenpolitik-Analysten Europas - darunter etwa Ivan Krastev, Vorsitzender des Centre for Liberal Strategies und Mitarbeiter am Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen, Stefan Lehne von der US-Denkfabrik Carnegie Europe oder Kristof Bender vom der European Stability Initiative - in der Kreisky-Villa in der Armbrustergasse versammelt, um sie über die "Europäische Multikrise", wie ein Teilnehmer meinte, diskutieren zu lassen.

Schwache EU-Außenpolitik

Bei der Veranstaltung gelten die sogenannten Chatham House Rules, die besagen, dass einzelne Zitate nicht Einzelpersonen zugeschrieben werden sollen. Damit soll ein offneres Gesprächsklima geschaffen werden - die "Wiener Zeitung" musste sich verpflichten, diese Regel zu respektieren. Einmal mehr zeigte sich, dass, sobald man anfängt, über komplexe außenpolitische Themen zu diskutieren, alles mit allem vernetzt zu sein scheint. Hat nicht die griechische Euro-Krise dazu beigetragen, Land, Regierung, Verwaltung und Institutionen zu schwächen, fragt einer der Diskussionsteilnehmer. Wie soll ein Land, das immer noch am Rande des Staatsbankrotts steht, die finanziellen Mittel haben, zigtausende Flüchtlinge zu beherbergen oder für eine wirkungsvollen Schutz der EU-Außengrenze zu sorgen?

Grenzen, meint ein US-Mitdiskutant, seien eine Kobination aus "hard power" und "soft power", "wenn die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sagt: ‚Wir schaffen das‘, dann heißt das nichts anderes als: ‚In Wahrheit schaffen wir das nicht‘. Nämlich: Wir schaffen den Schutz der EU-Außengrenze nicht. Außenpolitik ist eben leider der größte Schwachpunkt im EU-Projekt", sagt er. Die Pro-Europäer hätten die Rolle der Nato und der USA in der europäischen Sicherheitspolitik zu lange "systematisch unterschätzt". Das räche sich jetzt. Dazu komme das demokratische Legitimationsproblem der europäischen Politik: "Wenn Jean-Claude Juncker etwa den ungarischen Premier Viktor Orbán kritisiert, kann dieser mit gutem Recht darauf verweisen, dass er über eine viel tiefer gehende demokratische Legitimation verfüge als Juncker." Bei der Euro-Krise habe man in Kommission und Rat in Brüssel und bei der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt viel zu oft darauf verzichtet, sich die demokratische Legitimation für die Maßnahmen der Euro-Rettung abzuholen. "Da darf sich niemand wundern, wenn die europäischen Bürger heute besorgt reagieren, wenn in der Flüchtlingskrise die Rufe nach mehr Europa erschallen."