Im Iran und in Saudi-Arabien sorgt man sich um kranke Herrscher - ein Machtvakuum droht.
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Riad/Teheran/Wien. Die Bilder gingen um die Welt - und sie nährten wilde Spekulationen rund um ihre Amtsfähigkeit und Nachfolge: auf der einen Seite ein minutiös und propagandistisch aufbereiteter Krankenhausaufenthalt nach einer Prostata-Operation beim Obersten Geistlichen Führers des Iran, Ayatollah Seyed Ali Khamenei, vor wenigen Wochen. Auf der anderen Seite die Bilder des kranken saudischen Königs Abdullah mit Atemschutz und Sauerstoffflasche.
Im Iran überschlugen sich Berichte über die rasche Gesundung des 75-jährigen Klerikers Khamenei. Es sei schon ein "Wunder", wie rasch er sich erholt habe. Die Operation sei nichts als ein "Routineeingriff" gewesen, so der Tenor iranischer Medien. Sie wurde lediglich mit Lokalanästhesie durchgeführt. Khamenei soll hellwach gewesen sein und gesprochen haben.
"Es gibt keinen Grundzur Besorgnis"
"Es gibt keinen Grund zur Besorgnis, aber ich bitte die Bevölkerung dennoch, für mich zu beten", meinte der greise Ayatollah. Es war dies das erste Mal in der Geschichte der Islamischen Republik, dass der Gesundheitszustand eines religiösen Führers offengelegt wurde. Über den offiziellen Twitter- und Facebook-Account Khameneis wurden die Follower auf dem Laufenden gehalten. Nebenbei sei erwähnt, dass soziale Medien im Iran als "Haram" (Sünde) gelten und offiziell verboten sind. Nur mit speziellen Filterbrechern (VPN-Systemen) kann man sich einen Zugang verschaffen.
Jahrzehntelang wurde rund um den Gesundheitszustand Khameneis ein Geheimnis gemacht. Dies ließ Spekulationen aufkommen, er leide an zwei Krebserkrankungen und sonstigen Beschwerden. Ganz gesund war der einstige leidenschaftliche Bergsteiger nach einem Attentat Anfang der 1980er Jahre während des Iran-Irak-Krieges, bei dem sein Arm getroffen wurde, ohnehin nicht. Khameneis Posten vereint alle Macht des iranischen Führungszirkels. Er ist nicht nur der Oberbefehlshaber der Streitkräfte und hat in allen Fragen das letzte Wort, sondern darf sämtliche wichtige Schlüsselpositionen selbst nominieren oder zumindest bei der Auswahl der Kandidaten vorselektieren. Seit dem Tod des Revolutionsvaters, Ayatollah Ruhollah Khomeini, im Jahr 1989, amtiert Khamenei. Zuvor war er acht Jahre lang Präsident.
Seine Nominierung war innerhalb des Klerus sehr umstritten, da der einfache Geistliche weder über eine fundierte theologische Ausbildung noch über den Titel "Großayatollah" verfügt. Dank der Unterstützung des zweitmächtigsten Mannes, Ayatollah Akbar Hashemi-Rafsanjani, der heute Chef des mächtigen Schlichtungsrates ist, wurde Khamenei dennoch als Nachfolger Khomeinis gewählt. 25 Jahre später ist Khamenei ein alter, kranker Mann und muss sich laut seinen Ärzten mehr und mehr schonen und möglichst wenig offizielle Termine wahrnehmen. Die offizielle Homepage des Obersten Führers natürlich will von diesen "Gerüchten" nichts wissen. Es gehe Khamenei ausgezeichnet und er sei mit aller Kraft dabei, sein Amt auszuüben, heißt es.
Das Gremium, das für die (Ab-)
Wahl und Beurteilung der Arbeit Khameneis zuständig ist, besteht aus 86 Geistlichen, die als "Expertenrat" zweimal jährlich für zwei Tage tagen. Sollte Khamenei amtsunfähig werden oder sterben, dann muss dieser Rat über seine Nachfolge entscheiden. Derzeit brodelt die Gerüchteküche. Die Geistlichkeit, aber auch die mächtigen Revolutionsgarden wollen ein gewaltiges Wort mitreden. Einzelne Namen wie der innerhalb der Hardliner höchst umstrittene Rafsanjani werden als mögliche Nachfolger genannt. Andere wiederum sprechen davon, nach Khamenei einen Gelehrtenrat zu schaffen, der sich die Macht des Obersten Führers teilen soll. Das Problem, das der Expertenrat allerdings hat, ist, dass der Vorsitzende, Ayatollah Mohammad Reza Mahdavi Kani, vor wenigen Tagen verstorben ist und daher derzeit nur ein interimistischer Vorsitzender, Ayatollah Mahmoud Shahroudi, sein Amt ausübt.
Ähnliche Nachfolge-Spekulationen gibt es beim Rivalen, der sunnitischen Großmacht Saudi-Arabien. Im Internet kursieren mehrere Bilder des 90-jährigen Abdullah, die den Herrscher deutlich geschwächt zeigen. Schon zuvor sah man ihn bei offiziellen Terminen stets mit einer Sauerstoffflasche und mehreren Schläuchen durch die Nase.
"Der Zustand des saudischen Königs ist sehr kritisch - nur noch engste Familienmitglieder dürfen zu ihm", heißt es etwa in der staatlichen iranischen Nachrichtenagentur Irna.
Abdullah leidet seit vielen Jahren an starken Rückenproblemen und war deswegen auch schon mehrmals in den USA in Behandlung. Zudem soll er an Krebs leiden, berichten informierte Quellen immer wieder. Wie die "Wiener Zeitung" erfuhr, kümmert sich Abdullah schon seit Monaten ausführlich um seine Nachfolge, was ein sehr schwieriges Unterfangen sei. Denn die saudische Thronfolge sieht vor, dass im Falle des Todes des Königs entweder einer seiner Brüder oder Halbbrüder das Zepter übernimmt. Der jüngste dieser Kronprinzen ist allerdings über 70 Jahre alt, und kein einziger genießt die Unterstützung aller Strömungen im Königreich. Eines kommt aber bei all diesen Gerüchten und Debatten sehr klar ans Tageslicht: Wann immer Herrscher in der Geschichte im Inneren ihres Landes von Problemen ablenken wollen, widmen sie sich außenpolitischen Themen. So ist es auch symptomatisch, dass ausgerechnet Saudi-Arabien und der Iran medial mit größter Spannung die Diskussion rund um den kranken Herrscher des jeweils anderen Landes verfolgen. Riad und Teheran buhlen um die Vorherrschaft in der Region. Während es nach dem Vormarsch der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zwar nach Jahren kühler Distanz eine notgedrungene Wiederbelebung der Beziehungen gab, gehen die Rivalitäten hinter den Kulissen heftig weiter.
Die Perser sehen sich schon aufgrund ihrer Geschichte als Regionalmacht. Als Ventil dient ihnen der "schiitische Halbmond": Die Länder Bahrain, Iran, Irak und Libanon bilden einen Halbmond. Doch auch im Jemen unterstützt Teheran die Schiiten gegen die sunnitischen Kräfte des Landes. Der schiitische Halbmond wird vom Gottesstaat genutzt, um die Regionalmacht des Iran und den Einfluss der Schiiten als Gegenpol zu den von Saudi-Arabien gelenkten Geschicken der sunnitischen Mehrheit innerhalb der Muslime der Region zu stärken.
Die wichtigste Stütze Teherans in der Region ist Syrien. Das Land hat zwar keine schiitische Bevölkerungsmehrheit und zählt daher nicht zum schiitischen Halbmond, wird aber von einer kleinen schiitischen Elite, die den Alawiten angehört, geführt.
Das seit mehreren Jahren von einem durch Proteste gegen Präsident Bashar al-Assad ausgelösten blutigen Bürgerkrieg zerrissene Land unterhält enge Beziehungen zum Iran. Der umstrittene syrische Machthaber Assad, selbst ein Alawit, sorgt dafür, dass der Iran seine Interessen in der Region verfolgen kann. Die Islamische Republik greift Assad regelmäßig tatkräftig unter die Arme. Zudem streckt Teheran die Fühler in die schiitisch geprägten Länder in der Region also nach Bahrain, in den Libanon und nach Aserbaidschan aus.
Da die von Iran unterstützte schiitische Hisbollah im Libanon politisch sehr aktiv ist, dient er für die Umsetzung der Ziele Teherans. Erst im Oktober bekam die Hisbollah von Teheran ein riesiges Unterstützungspaket.
Sunniten wollen iranischen Einfluss zurückdrängen
Nach dem Arabischen Frühling und der Entmachtung der Herrscher in Ägypten, Tunesien, im Jemen und in Libyen, den misslungenen US-Operationen in Afghanistan und dem Irak sowie der Syrienkrise sprechen Experten neben dem schiitischen Halbmond auch vom "sunnitischen Dreieck" mit der Türkei, Saudi-Arabien und Ägypten. Trotz ihrer unterschiedlichen Interessen verfolgen die drei Länder ein gemeinsames Ziel: das Zurückdrängen des Iran in der Region.
Wer den Schlagabtausch Riad-Teheran letztlich für sich entscheiden wird, hängt auch davon ab, ob der Atomstreit zwischen dem Westen und dem Iran bis zur Deadline am 24. November nach elf Jahren mit einem endgültigen Abkommen gelöst werden kann.
Gibt es einen greifbaren Konsens zwischen der internationalen Gemeinschaft und Teheran, würde Irans Einfluss mit dem Ende der westlichen Wirtschaftssanktionen rasant steigen. Scheitern die Verhandlungen hingegen, wird Saudi-Arabien weiterhin von der eher distanzierten Politik des Westens gegenüber den Persern profitieren.