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Mitten im Gebirge schreit uns ein Freund aus großer Distanz ein Wort zu. Doch wir sind abgelenkt, nehmen es nicht wirklich wahr. Die Schallwelle läuft an unserem Ohr vorbei, das Wort verhallt ungehört. Nur wenn Felswände den Schall reflektieren, bekommen wir eine zweite Chance: Die Schallwelle passiert uns neuerlich, diesmal in Form von einem oder mehreren Echos. Des Umwegs über die Felswände wegen trifft die Echowelle deutlich später ein als der ursprüngliche Ruf. Je weiter der Umweg, desto länger die Verzögerung.
Was mit Schallwellen klappt, funktioniert prinzipiell auch mit Licht. Das ist allerdings fast eine Million mal schneller unterwegs, hetzt mit 299.792 km pro Sekunde dahin. Alpentäler reichen für Lichtechos nicht aus - hier sind kosmische Weiten gefragt. In den Abgründen zwischen den Sternen lauern dunkle Wolken aus Staub und Gas. Vom Licht getroffen, leuchten diese plötzlich auf - und streuen die Strahlen in unsere Richtung weiter. Während die Verzögerungen beim Schall Sekundenbruchteile betragen oder wenige Herzschläge, muss man sich bis zum Eintreffen der kosmischen Lichtechos oft Monate, Jahre, ja sogar Jahrhunderte gedulden. Dann erst bekommen auch Astronomen ihre "zweite Chance".
Ein bestimmter Stern kann nur ein einziges Mal als gigantische, den Raum erhellende Supernova explodieren. Denn dabei wird sein Kern völlig in Stücke gehauen, oder in einen ultradichten Neutronenball bzw. gar in ein Schwarzes Loch verwandelt. Die gasförmige Sternenhülle expandiert flink ins All. Als nebeliger, schwach glimmender Supernova-Überrest legt sie noch viele Jahrtausende lang Zeugnis ab vom einstigen Sternentod - wie ein langsam vergilbender Partezettel. Solche Gasfetzen hat man auch am Ort jener beiden Supernovae gefunden, die 1572 von Tycho Brahe und 1604 von Johannes Kepler studiert wurden. Jede übertraf die anderen Fixsterne an Glanz, und zwar bei weitem.
Statistisch betrachtet, hätten seither mindestens acht weitere Sterne in unserer Galaxis zur Supernova werden sollen. Doch seit jener von 1604 hat man hier keine mehr zweifelsfrei gesehen. Vermutlich verstellten uns dichte Staubwolken die Sicht.
Ein Lichtpünktchen
1675 gründete Karl II. das Observatorium von Greenwich. Die dort gewonnenen Erkenntnisse sollten vor allem den englischen Hochseeschiffen bei der Naviga- tion helfen. John Flamsteed, der erste königliche Astronom, machte sich an die Inventur des Himmelszelts. Am 16. August 1680 trug er die Koordinaten eines Sterns in seine Liste ein, den er "3 Cassiopeiae" nannte. Kein anderer Himmelsforscher sah dieses Lichtpünktchen, weder damals noch später: Ein Schicksal, das es mit einem knappen Dutzend anderer Einträge in der langen Sternenliste Flamsteeds teilte. Caroline Herschel vermutete einen Fehler und strich "3 Cassiopeiae".
1947 fingen Radioastronomen starke Funksignale aus dem Sternbild der Cassiopeia auf. Drei Jahre später entdeckten sie dort einen nebeligen Supernova-Überrest. Aus der Expansionsgeschwindigkeit der Nebelfetzen ermittelten Astronomen den einstigen Todeszeitpunkt des Sterns. Demnach hätte uns das Licht dieser Supernova-Explosion etwa um das Jahr 1680 erreichen sollen.
Nun grub man die seltsame Eintragung Flamsteeds wieder aus, zumal "3 Cassiopeiae" nur einen halben Vollmonddurchmesser abseits des heutigen Supernova-Überrests gestanden wäre. Zumindest für den Astronomiehistoriker William Ashworth Jr. schien es nun fast sicher: Flamsteed hatte keinen Fehler gemacht, sondern 1680 tatsächlich diese Supernova erspäht. In diesem Fall hätten all seine Fachkollegen die Gelegenheit vertan.
2005 hielt NASAs Infrarot-Weltraumteleskop "Spitzer" matt glimmende Staubwolken fest, die in einiger Distanz zum Supernova-Überrest schwebten. Anscheinend hatte der Strahlungsblitz der einstigen Explosion mittlerweile Silikatstaub im Raum getroffen und auf minus 123 Grad C "erwärmt". Daher strahlte dieser nun selbst im Infrarot.
Daraufhin suchten Heidelberger Astronomen mit internationaler Assistenz auch im sichtbaren Licht nach Echos - und wurden fündig. Tatsächlich schickten ferne Staubwolken den Lichtschein der längst wieder verblassten Supernova erst jetzt zur Erde.
Also durfte die Forschergemeinde den einst verpassten Sternentod doch noch miterleben, mit drei Jahrhunderten Verspätung. Dafür konnte man nun Instrumente einsetzen, von denen Flamsteed nicht einmal geträumt hätte. Die Staubteilchen streuten das Licht ohne wesentliche Manipulation zu uns. Daher ließen sich nachträglich sogar noch Spektren der Supernova gewinnen: Die starken Wasserstoff- und Heliumlinien entlarvten sie als Vertreterin der Gruppe "IIb". Dabei zerreißt es einen Riesenstern, der knapp zuvor den Großteil seiner Gashülle abgestoßen hat.
Mit der Zeit überwand das Licht der Sternexplosion immer weitere Abgründe. Staubwolken strahlten auf und verblassten wieder. Je nach ihrer Lage im Raum spiegelten sie das Desaster aus unterschiedlichen "Kameraperspektiven" wider. Aus manchen Blickwinkeln erschienen die Spektrallinien besonders stark gegen Blau verschoben. Dort jagten Materiejets gleich um 14 Mio. km/h schneller vom Zentrum der Katastrophe weg als anderswo. Die offensichtlich asymmetrische Detonation hatte Folgen für den im Inferno entstandenen, bloß 30 km kleinen Neutronenstern: der erhielt nämlich einen heftigen "Tritt" und hetzt seither in hohem Tempo davon.
Die Große Magellansche Wolke ist eine Zwerggalaxie im Einflussbereich unserer eigenen Milchstraße. Darin sah man am 24. Februar 1987 eine Supernova aufblitzen. Hier ging offenbar ein heißer Blauer Überriese mit 18 Sonnenmassen in die Knie, nur 20 Millionen Jahre nach seiner Geburt. Bald registrierten Forscher konzentrische Lichtringe, die vom Totenbett des Heißsporns forteilten.
Beim Studium der Magellanschen Wolke stieß man 2005 noch auf drei weitere Lichtechos, die von anderen, älteren Supernovae stammen mussten. Bewohner südlicher Breiten hätten diese Sterne aufstrahlen sehen müssen, den letzten vor 400 Jahren. Berichte fehlen. Die Spektroskopie der Lichtechos teilte diese drei Supernovae dem Typ "1a" zu: Dabei raubt ein Weißer Zwerg, also ein ausgebrannter, freigelegter Sternenkern, einer allzu intimen Partnersonne große Mengen Materie. Er überfüttert sich selbst: Ist die kritische Masse überschritten, zerreißt es den Zwerg.
Schleier und Ringe
Auf der Suche nach Lichtechos fotografieren Berufs- und Liebhaberastronomen heute die Himmelsregionen rund um bekannte Supernova-Reste, und zwar im Abstand von Monaten. Die Computer-Software subtrahiert die digitalen Aufnahmen voneinander: Sterne werden ausradiert; übrig bleibt, was sich verändert hat. Tauchen äußerst rasch nach außen ziehende Schleier oder Ringe am Monitor auf, hat man neue Lichtechos entdeckt.
Nicht nur Supernovae taugen als Lichtquellen. Anfang Januar 2002 verfolgte man mit, wie der Stern V838 Monocerotis im Sternbild Einhorn seine Leuchtkraft plötzlich um das Zehntausendfache steigerte. Im Fernglas zeigte er zuerst leicht bläuliche Pastelltöne, dann rötliche. Bald strahlte die ihn umgebende Materiewolke in bizarren Lichtechos auf; sie täuschten ein flinkes Expandieren der Materie selbst vor. Diese Wolke muss der Stern selbst bei früheren Ausbrüchen ins All geschickt haben, zuletzt vielleicht vor 100.000 Jahren. Jetzt blähte er sich zum Roten Überriesen auf, tausendmal größer als unsere Sonne.
Ein ganz besonderes Echo machten japanische Astronomen im Herzen unserer Milchstraße aus. Dort lauert ein hungerndes Schwarzes Loch mit der Masse von drei Millionen Sonnen. Vor 300 Jahren erhielt es Nahrung. Ein Stern kam ihm zu nahe und wurde zerrieben. Dessen heißes Gas gab Röntgenstrahlung ab, die wir damals freilich noch nicht nachweisen konnten.
Allererstes Lichtecho
Doch jetzt traf diese Strahlung eine Staubwolke im Schützen: Die leuchtete gerade mit der richtigen Verspätung auf - im Zeitalter ausgeklügelter Röntgenteleskope. Wieder öffnete sich der Blick in die Vergangenheit. Mit solchen "Röntgenscheinwerfern" will man künftig auch die Kerne anderer Galaxien studieren. Es ist, als erhellte eine Signalrakete nach und nach Teile einer nächtlichen Landschaft. Das allererste Lichtecho wurde übrigens schon 1901 beobachtet, nachdem man einen unvertraut hellen Lichtpunkt im Sternbild Perseus entdeckt hatte. Bald hielten Fotoplatten expandierende Lichtringe um diesen Stern - GK Persei - fest. Zuerst dachte man noch an weggeschleudertes, glühendes Gas. Das hätte allerdings mit Lichtgeschwindigkeit reisen müssen.
Der Niederländer Jacobus Kapteyn erkannte: Hier bewegte sich Licht, nicht Materie! Es entstammte einer Nova: Auch in diesem Fall entwendet ein Weißer Zwerg seiner Partnersonne Gas, aber nicht allzu viel. Der gestohlene Wasserstoff sammelt sich auf dem Zwergenantlitz; er wird dort von der Schwerkraft extrem verdichtet und fusioniert zu Helium. Bei GK Persei schnellte die Leuchtkraft dabei in nur vier Tagen auf das 145.000-Fache hoch.
1940 sagte der Schweizer Fritz Zwicky den zukünftigen Fund von Lichtechos auch bei den uns bereits bekannten, historischen Supernovae voraus. Bei jener von 1572 traf der schwache Widerschein mittlerweile tatsächlich ein, mit 436 Jahren Verzögerung. Auf jene der Supernovae von 1006, 1054, 1181 und 1604 warten die Himmelsforscher noch.
Christian Pinter, geboren 1959, lebt als Fachautor in Wien. Internet: www.himmelszelt.at