Zum Hauptinhalt springen

Nächste Hürde sind die Referenden

Von Martyna Czarnowska und Georg Friesenbichler

Europaarchiv

So euphorisch die EU-Staats- und Regierungschefs die europäische Verfassung begrüßt hatten, so groß könnten ihre Probleme bei deren Durchsetzung sein. Denn jetzt muss das Dokument erst in allen Ländern ratifiziert werden, damit es in Kraft treten kann. Dazu soll in einigen der 25 EU-Staaten die Bevölkerung der Verfassung zustimmen - und dass sie das tun wird, scheint derzeit mehr als fraglich.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 20 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

In einigen Ländern ist die Euphorie fast so groß wie beim deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder, der nach der Einigung am späten Freitagabend von einem "glücklichen Tag" sprach. Spanien etwa will die neue EU-Verfassung als eines der ersten Länder ratifizieren, beeilte sich Außenminister Miguel Angel Moratinos am Wochenende zu versichern, ließ allerdings offen, wie und wann.

Die größten Sorgen bereitet indes Großbritannien. Zwar feierte sich Premierminister Tony Blair selbst als Sieger des Gipfels von Brüssel, daheim will ihm das aber niemand so recht glauben. Blair wies darauf hin, dass seine Regierung Mehrheitsbeschlüsse vor allem in Außen- und Steuerpolitik weitgehend verhindert habe. In Großbritannien toben unterdessen die EU-Skeptiker. Robert Kilroy-Silk, Parlamentsmitglied der UK Indepence Party, aus den Europawahlen mit 18 Prozent gestärkt hervor gegangen, verglich Blair mit dem britischen Premier Neville Chamberlain und verwies auf dessen Zugeständnisse gegenüber Adolf Hitler, und auch das Boulevard-Blatt "The Sun" nannte Blair einen Verräter. Sie alle setzen auf das Referendum, das sich Blair selbst eingebrockt hat: Nachdem er dies lange abgelehnt hatte, vollzog er im April einen Schwenk und sprach sich für eine Volksabstimmung aus. Diese könnte nach Aussagen von Außenminister Jack Straw vor Ende 2006 stattfinden. Derzeit würden laut einer in "Sunday Times" veröffentlichten Umfrage lediglich 23 Prozent der Wahlberechtigten für die Verfassung stimmen, 49 Prozent seien dagegen.

Anders ist die Stimmung in Frankreich: Eine Umfrage für "L'Express" ergab, dass zwei Drittel der französischen Wählerinnen und Wähler für die Verfassung stimmen würden. Ob sie allerdings in einem Referendum die Gelegenheit dazu haben werden, ließ Staatspräsident Jacques Chirac am Wochenende noch offen.

Dass eine Volksabstimmung abgehalten wird, ist bis jetzt für vier Staaten fix: Belgien, Dänemark, Irland und Großbritannien. In Spanien, Polen, Luxemburg und den Niederlanden scheint ein Referendum wahrscheinlich. Auch Italien schließt diese Möglichkeit nicht aus. "Ich denke, es wäre angemessen, eine Volksabstimmung anzustreben", erklärte Außenminister Franco Frattini.

In Österreich sprach sich - wie zuvor Bundeskanzler Wolfgang Schüssel - der Grüne Europaabgeordnete Johannes Voggenhuber für eine europaweite Volksabstimmung über die EU-Verfassung, aber gegen separate Referenden in einzelnen Staaten aus. "Nationale Volksabstimmungen würden bedeuten, dass man die Verfassung dem innenpolitischen Kampf zum Fraß vorwirft", begründete er.

Damit könnte Voggenhuber die Situation etwa in Polen umschrieben haben. Dort ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein Referendum negativ ausgehen oder gleich an der 50-Prozent-Hürde scheitern würde. Beides wäre derzeit möglich angesichts der Gewinne europaskeptischer Parteien und einer Wahlbeteiligung von 21 Prozent bei den EU-Wahlen. Doch auch eine Ratifizierung im Parlament, die mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit erfolgen müsste, ist derzeit kaum vorstellbar. Die oppositionelle Liga der Polnischen Familien hat bereits heftige Kritik am designierten Ministerpräsidenten Marek Belka für dessen "Landesverrat" in Brüssel geübt.

Doch bis zum Zeitpunkt der Referenden kann sich die Stimmung sowohl in Großbritannien als auch in Polen ändern. Dass daran gearbeitet werden muss, unterstrich der amtierende EU-Ratspräsident und irische Ministerpräsident Bertie Ahern. Die Politik müsse den Menschen Europa besser erklären - und "wir müssen versuchen, das zu kommunizieren", meinte er.