"ATV-4 Albert Einstein" ist mit 4,8 Tonnen Treibstoff im Weltall unterwegs.
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Berlin. Albert Einstein bringt die nächste Mietzahlung persönlich zur Internationalen Raumstation ISS. Allerdings zahlt der berühmte Naturwissenschafter den europäischen Anteil an den ISS-Betriebskosten nicht in Franken, Dollar oder Euro, sondern in Naturalien: Mit Treibstoff, Wasser, Sauerstoff, Lebensmittel, Ersatzteilen und Geräten für die Grundlagenforschung an Bord sollte am Mittwoch um 23.52 Uhr Mitteleuropäischer Zeit eine Art Weltraum-Lastwagen vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Südamerika zur ISS starten. Da die Raumstation mehr als 300 Kilometer über der Oberfläche um die Erde kreist, kommt die Mietzahlung nicht auf Rädern, sondern auf den mächtigen Triebwerken der Ariane 5-Rakete der Europäischen Weltraumagentur ESA nach oben. Und da die Schweiz dieses "Automated Transfer Vehicle" oder kurz ATV taufen durfte, trägt es den Namen "Albert Einstein", der die längste Zeit seines Leben Schweizer war.
Weshalb zahlt die ESA überhaupt jedes Jahr Miete im Gegenwert von 290 Millionen Euro für die ISS? Eine Antwort liefert zum Beispiel der Geowissenschafter Alexander Gerst, der ab dem Frühjahr 2014 sechs Monate lang als Astronaut auf der Raumstation forschen soll. Dort wird der Deutsche nicht nur die gesamte Infrastruktur der knapp 100 Meter langen und 27 Meter tiefen Konstruktion mit ihrer Spannweite von 109 Metern nutzen, sondern auch Wasser trinken, Luft atmen und Lebensmittel essen, sowie natürlich Experimente machen. Da ist es nur recht und billig, wenn die ESA auch für Nachschub für ihre Astronauten aus Ländern wie Frankreich, Italien, Belgien, Kanada und Deutschland sorgt und sich an den Betriebskosten beteiligt. Albert Einstein ist bereits das vierte ATV, das seit dem März 2008 startet.
1,4 Milliarden Euro hat sich die ESA die Entwicklung ihres Weltraum-Lastwagens kosten lassen. Für dieses Geld haben 30 Firmen aus zehn ESA-Staaten, Russland und den USA High Tech vom Feinsten entwickelt: "Außer Russland betreibt bisher nur die ESA ein Raumfahrzeug, das vollautomatisch an die Raumstation andocken kann", erklärt ATV-Programm-Manager Volker Schmid, der beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR in Bonn für die ISS zuständig ist.
So steuert ATV mit Hilfe des Satellitenortungssystems GPS auf die Raumstation zu. Den Schub für diese Annäherung liefern vier Triebwerke aus den USA. Ein "Kurs" genanntes Radar aus russischer Produktion lenkt den zehn Meter langen ESA-Weltraum-Lastkraftwagen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als zwanzig Tonnen ins Ziel. Infrarot-Laser messen an der ISS angebrachte Muster und berechnen so den exakten Kurs für das ATV.
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Ein russischer Andockring samt Schnittstellen zwischen ISS und ATV koppelt dann an der Raumstation an, und die sechs Astronauten dort können endlich ihr Wunschessen ausladen, das sie lange vor ihrem eigenen Start mit einem Sojus-Raumschiff bestellt haben. Denn Albert Einstein bringt nicht nur 100 Kilogramm Atemluft und 565 Kilogramm Wasser, sowie 860 Kilogramm Treibstoff für die Steuerdüsen der Raumstation zur ISS, sondern mit 2479 Kilogramm auch eine Rekordmenge an sogenannter Trockenfracht. Und dazu gehören nicht nur Ersatzteile wie eine 80 Kilogramm schwere Wasserpumpe für das ESA-Labormodul Columbus, ein Mikroskop und raffinierte wissenschaftliche Experimente, sondern auch Verpflegung.
Gebaut wurde Albert Einstein genau wie die drei bisher gestarteten ATV bei der EADS-Astrium in Bremen. Über Nordsee und Atlantik wurden die einzigen europäischen Raumschiffe dann nach Kourou in Französisch-Guayana verschifft. Dort hat man Albert Einstein mit 4,8 Tonnen Treibstoff betankt und mit vier Tonnen Ladung für die ISS bestückt. Sobald Ariane das Raumschiff in eine Erdumlaufbahn gebracht hat, nutzt das ATV 2,2 Tonnen seines Sprits, um die ISS zu erreichen und voraussichtlich am 11. Oktober 2013 wieder zu verlassen. Dann bremst Albert Einstein so stark ab, dass er am 15. Oktober über dem Pazifik beim Eintauchen in die Atmosphäre samt dem von der Raumstation mitgebrachten Abfall verglüht.
Das ATV ist aber nicht nur ein Weltraum-Lastkraftwagen, der mit einem Schlag mehr als sieben Tonnen Fracht zur Raumstation bringen kann und der auf dem Rückweg als Mülltransporter arbeitet. Albert Einstein wird genau wie seine Vorgänger auch als Triebwerk für die Raumstation dienen. Die ISS fliegt nämlich in einer Höhe zwischen 330 und 410 Kilometern über der Erdoberfläche, in der es noch winzig kleine Mengen Luft gibt. Die aber bremst die mit rund 29.000 Kilometern in der Stunde um die Erde rasende Raumstation ein wenig ab. Daher sackt die ISS langsam tiefer, wo die Luft noch etwas dichter wird und noch stärker bremst. Um diesen immer schnelleren Sinkflug auszugleichen, zündet das ATV seine vier Haupttriebwerke und hebt die circa 450 Tonnen schwere ISS einige Kilometer höher. Für dieses Manöver bringt Albert Einstein die restlichen 2,6 Tonnen Treibstoff in seinen Tanks mit, die ebenfalls als Ladung für die Raumstation zählen.
450 Millionen Euro kostet ein einziger ATV-Flug, insgesamt wären sechs solcher Weltraum-Lastkraftwagen nötig, um die Miete für die vorerst bis 2020 geplante Nutzung an der ISS zu bezahlen. Dieses Geld ist hervorragend angelegt, erklärt DLR-Experte Volker Schmid: "Dafür bekommen allein deutsche Forscher weit mehr als hundert Experimente aus der Grundlagenforschung, die derzeit meist nur in der Raumstation sinnvoll durchgeführt werden können."
Investition in die Zukunft
Gerade für Europa, das relativ wenig Rohstoffe hat und daher sein Geld vor allem mit seinem Know-How verdienen muss, ist diese Forschung daher eine wertvolle Investition in die Zukunft. Da schmerzt den DLR-Forscher der ständige Spardruck in Europa besonders. "Vor allem Frankreich und Italien zeigen mangelnde Solidarität mit den anderen ESA-Mitgliedern und haben ihre Beiträge für den Betrieb der ISS zum Teil erheblich gekürzt", ärgert sich Schmid. Nach Albert Einstein wird daher nur noch ein fünfter ATV starten. Damit endet die Ära des bisher einzigen selbstständigen europäischen Raumschiffs.