Mit einer Überraschung endete die Europawahl in Polen: Die EU-skeptische Liga der Polnischen Familien (LPR) konnte am Sonntag mit 16,4 Prozent der Stimmen den zweiten Platz erreichen. Wahlsiegerin wurde die Bürgerplattform (PO). Sie erhielt 23,5 Prozent der Stimmen. Ob die radikale Selbstverteidigung (Samoobrona) des selbst ernannten Bauernführers Andrzej Lepper oder die ebenfalls EU-skeptische Fraktion Recht und Gerechtigkeit (PiS) auf Platz 3 kam, war zunächst unklar - das Endergebnis wird für heute, Dienstag, erwartet. Doch die größte Enttäuschung für alle Interessierten war die Wahlbeteiligung: Sie betrug nicht einmal 21 Prozent.
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Nicht einmal Hochrechnungen waren am Sonntag abend möglich. Dafür war die Wahlbeteiligung in Polen zu gering: Bis 18 Uhr waren lediglich 15,4 Prozent der knapp 27 Millionen Wahlberechtigten zu den Urnen gegangen. Nach der Auszählung von 85 Prozent der Stimmen konnte die Bürgerplattform dann den ersten Platz behaupten. Sie erhielte demnach mindestens 14 Mandate im Europaparlament. Die LPR käme auf 10 Mandate, PiS und Samoobrona bekämen jeweils mindestens 7. Die regierende SLD-UP (Bündnis der Demokratischen Linken), die laut polnischer Presseagentur PAP 9,1 Prozent der Stimmen erhielt, würde fünf Abgeordnete nach Straßburg entsenden. Und die Freiheitsunion (UW) sowie die Bauernpartei PSL erhälten wahrscheinlich vier Mandate von 54 Sitzen.
"Die Bürgergesellschaft verliert weiterhin", kommentierte Staatspräsident Aleksander Kwasniewski die niedrige Wahlbeteiligung für die Tageszeitung "Rzeczpospolita". Die Wahlenthaltung sei ein Zeichen der Unreife. Die meisten Politologen waren sich einig, dass die seit Monaten andauernde Führungskrise, Korruptionsskandale und teils tumulthafte Diskussionen im Sejm (Parlament) wesentlich zu dem Ergebnis beigetragen haben.
Während sich sowohl Bürgerplattform als auch Samoobrona als mögliche Siegerinnen bei der nächsten Parlamentswahl sahen, schien das Ergebnis für die Liga der Polnischen Familien zunächst überraschend zu sein. Doch schon bald kündigte Vorsitzender Roman Giertych an, ein neues Polen aufbauen zu wollen - ohne die Beteiligung von Marek Belka.
Über dessen Zukunft wird der Sejm nämlich in Kürze - wahrscheinlich am 24. Juni - entscheiden. Nachdem der designierte Ministerpräsident Belka schon einmal die Vertrauensabstimmung im Parlament verloren und der Sejm keinen eigenen Kandidaten aufgestellt hatte, hat Präsident Kwasniewski Belka abermals als Premier vorgeschlagen. Um ihn zu bestätigen genügt nun eine einfache Mehrheit.
Welche Bedeutung die Europawahl für die Wahl Belkas hat, fasste beispielsweise der zurückgetretene Ministerpräsident Leszek Miller zusammen: Sollte die SLD ein besseres Ergebnis als die von ihr abgespaltene Sozialdemokratie Polens oder die PSL erhalten, steigen die Chancen auf eine Bestätigung der designierten Regierung.
In diese Richtung weisen die Ergebnisse der Sozialdemokratie - die die Fünf-Prozent-Hürde nur knapp übersprungen hat - hin. Doch PSL, mit einem Stimmenanteil von mehr als 6 Prozent, könnte bei vorgezogenen Neuwahlen auf mehr Erfolgsaussichten und Mandate hoffen.
Sollte Belkas Regierung abermals scheitern, sind Neuwahlen im August wahrscheinlich. Die Wahlbeteiligung könnte dabei ebenso gering sein wie bei der Europawahl am Sonntag, und das Ergebnis ein ähnliches. Befürchtet wird allerdings ein noch besseres Abschneiden der Samoobrona.