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Nach den CDU-Desastern bei Landtagswahlen kritisiert die CSU erneut Merkels Flüchtlingspolitik.
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Berlin/München/Wien. Heißkalt ist die nach außen gezeigte Beziehung zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer. "Sehr offen, gut und freundschaftlich" sei die Atmosphäre gewesen, als sich die beiden Anfang März im Berliner Kanzleramt trafen. Das zumindest wurde von CDU und CSU verlautbart. Denn vor dem EU-Flüchtlingsgipfel hielt der bayerische Ministerpräsident der Kanzlerin den Rücken frei. Nach zwei historischen Niederlagen bei Landtagswahlen am Wochenende geht Seehofer wieder in den Konfrontationsmodus: "Es geht um die Existenz. Aus dem Sinkflug kann ein Sturzflug werden, kann auch ein Absturz werden", sagte er am Montag bei einer CSU-Vorstandssitzung in Anspielung auf die Debakel in Baden-Württemberg und Rheinland Pfalz.
Merkel konterte, sie führte das schlechte Abschneiden auch auf die Spannungen zwischen CDU und CSU zurück: "Diese Differenzen sind für die Wähler der Union schwer auszuhalten." Noch immer finden die beiden Schwesterparteien keinen gemeinsamen Weg, wie man die Zahl der Flüchtlinge reduziert, unter anderem wegen der CSU-Forderung einer Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr - 2015 erreichten 1,1 Millionen Flüchtlinge Deutschland. Merkel widersprach Seehofer, dass der AfD-Erfolg ein existenzielles Problem für die Union sei.
Protestierende Männer
12,6 Prozent in Rheinland-Pfalz, 15,1 Prozent in Baden-Württemberg und gar 24,2 Prozent in Sachsen-Anhalt: Bei der Alternative für Deutschland (AfD) herrschte ausgelassener Jubel. Ausgerechnet unter den AfD-Wählern in Sachsen-Anhalt gaben fast zwei Drittel an, es wäre gut, wenn man in ihrem Bundesland auch die bayerischen Christsozialen wählen könnte. Die AfD punktete bei Ex-Wählern aller anderen Parteien, CDU und SPD, Grünen und Linken. Aber nirgends war ihr Wählerreservoir so groß wie bei den früheren Nichtwählern. Daher stieg auch die Wahlbeteiligung in allen drei Bundesländern deutlich. Co-Parteichefin Frauke Petry sieht die AfD bereits auf dem Weg zur Volkspartei. Dass das Programm in erster Linie auf Protest fußt, ficht sie nicht an: "Tatsache ist doch aber, dass auch Protest eine inhaltliche Aussage ist, denn es grenzt einen von anderen Parteien ab." So stimmten 70 Prozent der AfD-Wähler in Baden-Württemberg für die Partei, weil sie mit den etablierten Kräften enttäuscht sind. Die Grenzen-zu-Politik in der Flüchtlingsfrage sahen 83 Prozent der AfD-Wähler als Kompetenz der Partei; mit großem Abstand folgen Kriminalitätsbekämpfung und soziale Gerechtigkeit.
Vorwiegend Männer, schlecht Gebildete, Arbeiter und Arbeitslose wählen die AfD, das zeigt sich im wirtschaftlich und sozial abgeschlagenen Sachsen-Anhalt besonders deutlich. Dort ging CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff frühzeitig auf Distanz zu Merkels Flüchtlingspolitik; er grenzte damit seine Verluste ein. Weil die CDU prinzipiell nicht mit der Linken koaliert, läuft in Sachsen-Anhalt alles auf Schwarz-Rot-Grün hinaus. Mit der AfD wollen CDU, SPD, Grüne und Linke in allen drei Ländern nichts zu tun haben.
Spitze mit Anfängerfehler
Die alte Kampagnenweisheit "Bleib bei deiner Botschaft" hat sich wieder einmal bewahrheitet. Julia Klöckner, CDU-Spitzenkandidatin in Rheinland-Pfalz, hatte beste Chancen, der SPD nach 25 Jahren den Ministerpräsidentenposten zu nehmen. Ende Februar drehte die Verteidigerin der Merkel’schen Flüchtlingspolitik aus Angst vor der AfD den Rücken zu und ventilierte den "Plan A2". Dieser sah tagesaktuelle Flüchtlingskontingente in Deutschland vor - ganz im Gegensatz zu Merkels Position. "In Krisenzeiten wünschen die Wähler Orientierung. Das ist in der Wahlforschung seit Jahrzehnten bekannt", sagt Frank Brettschneider, Professor für Kommunikationswissenschaft und Wahlforscher an der Universität Hohenheim in Stuttgart zur "Wiener Zeitung".
Die lange haushoch favorisierte Klöckner schaffte letztlich nur Platz zwei hinter SPD-Chefin und Ministerpräsidentin Malu Dreyer. 31,8 Prozent bedeuten das schlechteste Ergebnis in der Geschichte des dortigen CDU-Landesverbandes. Selbstkritik war Klöckner am Tag nach der Niederlage dennoch fremd. "Wir hätten noch mehr verloren an die AfD, wenn wir uns nicht klar positioniert hätten in dieser Frage", sagte sie mit Verweis auf "Plan A2".
Kein Sieg für Merkels Politik
Dass Klöckner, seit 1997 in der CDU aktiv, ehemals parlamentarische Staatssekretärin und seit 2012 Vize-Parteivorsitzende, die Wähler mit einem solchen Anfängerfehler vertreibt, erstaunt. Noch dazu beim mit Abstand wichtigsten Wahlkampfthema. Dabei galt die 43-Jährige nicht nur als designierte Regierungschefin, sondern auch als potenzielle Nachfolgerin für die CDU-Spitze. Klöckners sozialdemokratische Kontrahentin Dreyer agierte mit ruhiger Hand, machte zehn Prozentpunkte Rückstand wett und lobte Merkels Flüchtlingspolitik - ganz so wie der Grüne Kretschmann in Baden-Württemberg. Er profitierte auch davon, dass CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf mit Klöckner "Plan A2" vertrat.

Auch wenn Dreyer und Kretschmann gewonnen haben, ist das Debakel für die CDU dennoch kein Sieg für die Flüchtlingspolitik Merkels. Denn der Kanzlerin stehen ungemütliche Zeiten bevor. "Es gibt keinen Gewinner. Seehofer wird nicht aufhören, eine Kursänderung einzufordern. Und in den CDU-Landesverbänden macht sich Nervosität breit, auch mit Blick auf die kommende Bundestagswahl (wahrscheinlich 2017, Anm.)", erklärt Wahlforscher Brettschneider.
Feuer am Dach ist insbesondere in Baden-Württemberg. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik ist die CDU nicht mehr stimmenstärkste Partei im Südwesten Deutschlands. Der Grüne Winfried Kretschmann, seit 2011 Ministerpräsident, hat sie nun auf Platz zwei verwiesen. Im strukturkonservativen Ländle fuhr die CDU desaströse 27 Prozent ein, verlor weitere 12 Prozentpunkte. Noch vor zehn Jahren erreichte die Partei in Baden-Württemberg 44 Prozent.
Um dennoch die Macht zurückzuerobern, umgarnt die CDU die SPD und die FDP, schmiedet an einer "Deutschland-Koalition", angelehnt an die Landesflagge und die drei Parteifarben Schwarz, Rot und Gelb. Dem Wählerwillen würde eine solche Regierung nicht entsprechen, schließlich haben die Bürger Kretschmann den Rücken gestärkt. Der Ministerpräsident kann wiederum nicht grün-rot weiterregieren, denn die SPD stürzte im Schatten des kauzigen "Landesvaters" auf 12,7 Prozent ab und taugt nicht einmal mehr als alleiniger Mehrheitsbeschaffer. Gemeinsam mit der FDP besäße eine grün-gelb-rote Ampel die Mehrheit im Stuttgarter Landtag. Die Liberalen senden derzeit unterschiedliche Signale aus: Während der Spitzenkandidat am Wahlabend eine Ampelkoalition zurückwies, will sich der Landeschef Gespräche führen. Auch Bundesparteivorsitzender Christian Lindner schlug am Montag deutlich sanftere Töne als zuvor an. Man stehe für "alle möglichen Gespräche" mit demokratischen Parteien zur Verfügung.
Ein Novum in Deutschland stellte eine Partnerschaft zwischen Grünen und CDU unter Führung der Öko-Partei dar. Vor allem für die schwarzen Funktionäre wäre das ein Problem, analysiert Frank Brettschneider. Die Wähler stünden dem Experiment dagegen wesentlich offener gegenüber. Der Wahlforscher denkt nicht, die CDU könnte unter dem extrem populären Kretschmann marginalisiert werden wie zuvor die SPD. Stattdessen könnte die CDU mit der Gestaltungsmöglichkeit der Regierung bei der kommenden Wahl angreifen, während der 67-jährige Kretschmann altersbedingt wohl nicht ein weiteres Mal antreten würde. "Wir haben den Auftrag, die Regierung zu bilden und den Ministerpräsidenten zu stellen", richtet Kretschmann der CDU nun aus.
Wann lernen Bundesgrüne?
Der Triumph Kretschmanns kaschiert das Debakel der Grünen in Rheinland-Pfalz; zwei Drittel ihrer Wähler 2011 machten ihr Kreuz nun anderswo. In Sachsen-Anhalt schaffte man nach langem Zittern den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde für den Einzug in den Landtag. Die grüne Bundespartei wirbt nun mit Kretschmanns Konterfei und der "Sensation im Südwesten", inhaltlich ist der öko-libertäre Parteiflügel weiterhin marginalisiert. "Seit 1996 heißt es in der Bundespartei, man muss von Baden-Württemberg lernen", sagt Rezzo Schlauch zur "Wiener Zeitung". Der Ex-Fraktionschef der Grünen im Bundestag hält mit seinem Ärger nicht hinter dem Berg: "Die Bundespartei macht ihren Stiefel. Wenn sie nicht aufpasst, geht sie in die Grütze."