Bei der Fülle von Themen, die jüngst beim Internationalen Humangenetik-Kongress in Wien behandelt wurden, ging eines - obwohl von enormer Bedeutung - nahezu unter, nämlich die Erforschung des menschlichen Proteinoms, also der menschlichen Eiweißstoffe. Denn die Identifizierung von Genen ist nur eine Art Etappenziel in der möglichst kompletten Aufklärung der Biologie von Organismen. Gene, so die britische Expertin Janet Thornton, stellen im Grunde nur die Produktionsanleitung für Eiweißstoffe dar oder regulieren über solche Mechanismen die biologischen Funktionen.
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Deshalb, so Thornton, werde es von entscheidender Bedeutung sein, die Struktur - bis zum dreidimensionalen Aussehen - der nach der Gen-Vorlage in Zellen hergestellten Eiweißstoffe zu kennen. Der Grund dafür: Mutierte Gene führen zu veränderten proteinen und damit zu Krankheit.
Andererseits muss für die Entwicklung von spezifischen Arzneimitteln gegen eine Krankheit die räumliche Gestalt der krankmachenden Proteine bekannt sein, da die Wirkstoffe zumeist an diesen Eiwißstoffen angreifen sollen. Auf die Fachleute wartet also noch eine Menge Arbeit.
Thornton: "Wir beginnen gerade erst jene Mechanismen zu verstehen, über die aus vererbten DNA-Mutationen Krankheiten entstehen. Am besten geht das über die Kenntnis der dreidimensionalen Struktur des dafür verantwortlichen Proteins." Es komme daher darauf an, die Informationen aus der Sequenzierung des Erbguts der verschiedenen Organismen sinnvoll durch Daten über die Proteine zu ergänzen.
Ehrgeiziges Vorhaben innerhalb von drei Jahren
Zu diesem Zweck haben die Unternehmen Myriad Genetics, Hitachi und Oracle vor kurzem eine zukunftsweisende Kooperation angekündigt. Ziel ist es, das menschliche Proteinom in weniger als drei Jahren komplett zu entschlüsseln. Die Kombination von Myriads Fachkenntnis mit den führenden Technologien von Hitachi und der Software von Oracle schafft die Voraussetzungen für die Analyse der Proteine und ihrer Wechselwirkung in den Körperzellen. Die Kooperationspartner wollen diese Informationen in einer speziellen Datenbank sammeln, die bis 2004 eine Liste aller Wechselwirkungen der menschlichen Proteine und aller biochemischen Pfade sowie einen vollständigen Katalog der reinen Proteine enthalten soll.
Die Forschungen mit einem Etat von insgesamt 185 Mill. Dollar werden bei der neu gegründeten Myriad Proteomics durchgeführt, einer 50-prozentigen Tochter von Myriad Genetics. Myriad Proteomics wird die Datenbank und eine Reihe von proteinomischem Material für Pharma- und Biotechnologie-Unternehmen zur Entwicklung von therapeutisch-diagnostischen Produkten anbieten.
Gewaltiger Schritt hin zu neuen Medikamenten
"Die Kooperation dieser Branchengrößen wird Erkenntnisse über die Molekularbasis der Funktionen und Fehlfunktionen von Proteinen liefern und damit unvorhergesehene Möglichkeiten für die pharmazeutische Entwicklung erschließen", sagte Peter Meldrum, President and Chief Executive Officer bei Myriad Genetics. "Dieses Projekt bedeutet einen gewaltigen Schritt in die zukünftige Medikamentenentwicklung. Die Entdeckung von Krankheiten auf molekularer Basis ermöglicht die Entwicklung von wesentlich sichereren und effizienteren Therapien."
Nach der vollständigen Entschlüsselung des menschlichen Erbguts kommt nun den Protei-nomen die Hauptrolle bei der Erforschung von Krankheitsursachen zu. Die mit Hilfe der Myriad-Technologie gewonnenen Erkenntnisse über die Wechselwirkungen der Proteine und die biochemischen Pfade beim Menschen werden eine zentrale Rolle bei der Identifizierung der Faktoren spielen, die einen Krankheitsverlauf in Gang setzen. Dadurch werden die optimalen Wege ermittelt, um die Krankheit zu stoppen oder möglicherweise von vornherein zu verhindern.
"Dieses Projekt wird riesige Mengen an Informationen über das menschliche Proteinom hervorbringen, und die Oracle Datenbank wird dies alles speichern, analysieren und verteilen", so Larry Ellison, Oracle-Chief Executive Officer. "Wir freuen uns, Teil dieser bemerkenswerten Kooperation zu sein und damit die starke Position von Oracle in der Biowissenschaft weiter auszubauen."
Hochtechnologie zur Protein-Identifizierung
Myriad wird zwei komplementäre Proteinom-Technologien verwenden, um seine Ziele zu erreichen: ProNet und ProSpec. Die Protein-Interaktions-Technologie ProNet ist eine industrialisierte, hochleistungsfähige Version des Zwei-Hybrid-Hefe-Systems. ProSpec ist eine Massen-Spektrometrie-Technologie für die Identifikation von Protein-Komplexen und ideal, um Protein-Komplexe zu identifizieren, sogar solche, die ihre Sekundärstruktur verändern, nachdem sie in der Zelle exprimiert wurden.
Myriad Genetics liefert Technologien im Wert von 82 Mill. Dollar für das Projekt. Hitachi, Oracle und Friedli Corporate Finance, Zürich, stellen 85 Mill. Dollar in bar und weitere 18 Mill. Dollar an Technologien zur Verfügung.
Über Struktur-Studien zu neuen Strategien
Myriad, Hitachi und Oracle wollen die gesamten exprimierten Proteine in Reinform bestimmen. Dieser Wissens-Pool werde, so die Projektleiter, eine hervorragende Quelle für biologische Struktur-Studien wie Röntgen-Kristallografie und 2D-NMR sein, die darauf abzielen, biologisch und therapeutisch wichtige Protein-Bereiche zu identifizieren.
Die Verfügbarkeit von solchen strukturellen Informationen ermögliche es Myriad, die chemische Vielfalt der verfügbaren Präparate mit den neuen therapeutisch relevanten Proteinen abzugleichen. So können chemisch-proteinomische Strategien zur Entwicklung neuer therapeutischer Präparate verfolgt werden.