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Nachtschicht für Billionendeal

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Österreich rang um Mittel für ländliche Entwicklung und Rabatt.


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Brüssel. Die letzten Vorbereitungen wurden im Fußballstadion getroffen. Als das deutsche Nationalteam in Paris gegen die französische Mannschaft antrat, saßen Spitzenpolitiker beider Länder gemeinsam am Rande des Feldes. Bundeskanzlerin Angela Merkel war direkt vom Flughafen zum Stadion gefahren. Und dort, nicht im Élysée-Palast, besprach sie mit Staatspräsident François Hollande die letzten Details des anstehenden Finanzgipfels. Nicht einmal 24 Stunden später trafen die beiden einander in Brüssel. Mit ihren europäischen Amtskollegen wollten sie sich auf die künftigen Ausgaben der Union einigen.

Als die Staats- und Regierungschefs am Donnerstagnachmittag zu ihrem Treffen zusammenkamen, waren sie auf eine lange Nachtsitzung eingestellt. Es geht um die Verteilung von knapp einer Billion Euro: So viel soll der finanzielle Rahmen der EU in den Jahren 2014 bis 2020 ausmachen. Das ist die Obergrenze, bis zu der die EU-Kommission Finanzierungszusagen machen kann. Die tatsächlichen Zahlungen, die jedes Jahr durch einen Budgetbeschluss bestätigt werden, liegen etwas darunter. Die jährlichen Ausgaben für die 500 Millionen EU-Bürger sind jedenfalls nicht einmal doppelt so hoch wie jene, die im österreichischen Budget festgelegt sind.

Gefeilscht wurde allerdings um zwei Dutzend Milliarden Euro. Schon einmal hatte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy Zahlenvorschläge präsentiert, die unter den ursprünglichen Plänen der Kommission lagen: Die Zahlungen hätten dabei 935 Milliarden Euro betragen. Doch die Kürzungen in Höhe von rund 80 Milliarden Euro waren einigen Ländern zu wenig. Die Nettozahler, die mehr Geld in den Unionshaushalt einzahlen als aus diversen Fördertöpfen zurückerhalten, verweisen auf Sparzwänge, die nicht nur für nationale Budgets, sondern auch die gesamte EU gelten sollten. Daher musste Van Rompuy weitere Einschnitte vorschlagen und die Summe auf etwas mehr als 900 Milliarden Euro drücken.

Ein Land, ein Eigeninteresse

Von den Kürzungen kaum mehr betroffen waren die bei weitem größten Etatposten: In Strukturhilfen und die Landwirtschaft fließen mehr als drei Viertel des EU-Geldes. Für Forschung und Innovation werden etwa acht Prozent verwendet, für die Verwaltung rund sechs Prozent. In diesen Bereichen wurden Einschnitte vorgeschlagen.

Dabei geht es den Staaten um anderes: Jedes Land kämpft für seine Interessen, jede Regierung muss in ihrer Hauptstadt bald erklären, was sie für ihre eigenen Bürger erreicht hat. Frankreich etwa profitiert von den Subventionen für die Landwirtschaft. Polen ist der größte Nutznießer der Förderungen für die Infrastruktur: Es hat eine jährliche Summe von fast elf Milliarden Euro zu verteidigen. Deutschland räumt zwar - wie Österreich - ein, dass es künftig mehr für die EU zahlen werde, möchte aber die Struktur der Ausgaben verbessern. Großbritannien mit seiner zunehmend EU-skeptischen Opposition und Bevölkerung will seine finanziellen Vergünstigungen behalten. Und Österreich will weder auf die Vorteile der ländlichen Entwicklung noch auf seinen Rabatt auf die Beitragszahlungen verzichten.

Doch schon nach der - gescheiterten - Verhandlungsrunde im Vorjahr war klar, dass die Einbußen für die österreichischen Bauern geringer ausfallen würden als ursprünglich geplant. Die Mittel würden demnach rund 3,6 Milliarden Euro für die sieben Jahre betragen. Ebenso zeichnete sich ab, dass der Rabatt - derzeit 180 Millionen Euro jährlich - in der einen oder anderen Form bestehen bleibt. Der Nettobeitrag Österreichs liegt derzeit bei etwa 800 Millionen Euro.

Drohungen und Mahnungen

Die Rabatte gehören zu den umstrittensten Bereichen. Es geht dabei um Ausgleichszulagen, die Nettozahler bekommen, weil sie wegen eines Rabatts für Großbritannien mehr ins EU-Budget einzahlen müssen. Diese Kompensation erhalten neben Österreich Deutschland, die Niederlande, Schweden und Großbritannien. Und weil sich London gegen eine Reduktion seines derzeit vier Milliarden Euro schweren Rabatts wehrt, möchten auch andere Länder ihre Vergünstigungen nicht verlieren. Doch müssten sie Teile davon neu verhandeln, weil einige Regelungen - etwa zur Verringerung einer Mehrwertsteuer-Abgabe - heuer auslaufen. Hinzu kommt, dass nun auch Dänemark ebenfalls gern einen eigenen Rabatt hätte.

In diesem Spannungsfeld musste Van Rompuy einen neuen Kompromiss finden. Die Vorzeichen dafür waren nicht die besten. Nicht nur der britische Premier David Cameron drohte mit einem Veto, sollte es keine weiteren Kürzungen geben. Auch Tschechiens Ministerpräsident Petr Necas zeigte sich bei seiner Ankunft in Brüssel entschlossen, einen seinem Land nicht genehmen Entwurf abzulehnen. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bemerkte, dass die Positionen der Partner noch weit auseinander lägen. Dennoch mahnten etliche Politiker eine Verständigung ein: Die sei schon allein deswegen nötig, damit sich Europa etwa dem Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit widmen kann, sagte der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann.

Kollektiver Druck

Cameron und Merkel gehörten gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten François Hollande denn auch zu denen, die Van Rompuy zu einer ersten Unterredung traf. Einzelgespräche wie noch bei der letzten Verhandlungsrunde standen diesmal nicht auf dem Programm. Vielmehr setzte der Ratspräsident gleich auf kollektiven Druck. Den musste er aber dann die ganze Nacht aufrechterhalten.

Van Rompuys Plan war, noch in dieser Nacht eine erste Einigung zu erreichen. Dennoch verschob er zunächst einmal die offizielle Eröffnung des Gipfeltreffens und zögerte die Präsentation seines neuesten Kompromissvorschlags hinaus. Erst am späten Abend waren die Zahlen bekannt. Danach begann das große Feilschen.