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Nagelprobe für die mRNA-Technologie

Von Alexandra Grass

Wissen
© adobe stock/Jacqueline Weber

Ein natürlicher Botenstoff ist Vorbild und Grundlage für die neuen Corona-Impfstoffe.


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Im Abstand von nur einer Woche haben die Biotechnologie- Unternehmen Biontech/Pfizer und Moderna Durchbrüche in der Entwicklung eines Impfstoffes gegen Covid-19 vermeldet. In den Mittelpunkt ist damit auch eine mittlerweile 60 Jahre alte Entdeckung gerückt - die Messenger- oder Boten-RNA (mRNA). Im Menschen, aber auch in Tieren oder Pflanzen fungiert sie als natürlicher Botenstoff - als Transportvehikel innerhalb von Zellen - und steuert die Bildung von Proteinen. mRNA-Impfstoffe sind dagegen ein neues Prinzip. Sie regen den Körper zur Bildung von Antikörpern gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 an. Experten zufolge könnte die mRNA künftig nicht nur im Kampf gegen Covid-19 zum Einsatz kommen, sondern etwa auch in der Krebsbehandlung.

Im Zuge der Entschlüsselung des genetischen Codes ab dem Jahr 1961 stieß der britische Biologe und spätere Nobelpreisträger Sidney Brenner auf die mRNA. Sie bringt die genetische Information aus dem Zellkern zu den Ribosomen - jenem Ort in der Zelle, wo Proteine gebildet werden, die für fast alle menschlichen Funktionen benötigt werden. Für die Impfstoffe wird synthetische Boten-RNA hergestellt. Bevor diese verabreicht wird, versehen die Forscher sie mit einer Art Steckbrief des Virus, einem Teil des genetischen Bauplans des Erregers. Im Menschen stellen körpereigene Zellen in Folge ein Virus-Eiweiß her, das zur Bildung von Antikörpern gegen dieses Protein und damit gegen Sars-CoV-2 anregt. Die Antikörper fangen schließlich die Viren ab, bevor sie in die Zellen eindringen können.

Einfache Massenproduktion

Neben Biontech/Pfizer und Moderna setzt auch der deutsche Pharma-Konzern Curevac auf die Messenger-RNA. Diese Vakzine haben vor allem zwei Vorteile. Der eine ist die Entwicklungszeit. Einer niederländischen Studie aus dem Jahr 2013 zufolge dauerte es für die Herstellung von Impfstoffen mit der traditionellen Methode im Durchschnitt mehr als zehn Jahre. Bei Moderna waren es nur 63 Tage von der Bestimmung der Gensequenz bis zur ersten Impfung beim Menschen. Bei Biotech/Pfizer geschah dies in einer ähnlichen Zeitspanne.

Ein weiterer Vorteil zeigt sich in der wesentlich einfacheren Massenproduktion. Es werden keine Bioreaktoren für eine externe Virus-Produktion benötigt. Zudem kommt man in der Herstellung ohne die Inaktivierung von Erregern und ohne aufwendige Aufreinigung aus.

Durchbruch 2005

Hinter dieser Methode stecken gut 30 Jahre Forschungsarbeit. Eine der Ersten, die sich mit der Technik beschäftigte, war die aus Ungarn stammende Biochemikerin Katalin Kariko, die an der University of Pennsylvania tätig war, bevor sie als Senior Vice President zu Biontech nach Mainz wechselte. Die Wissenschafterin wollte mRNA als Therapieform entwickeln. Durch das Einbringen von mRNA in die Zellen von Patienten sollten diese etwa krankheitsbedingt mangelnde Enzyme, Wachstumsfaktoren zur Reparatur von geschädigtem Gewebe oder eben Antigene zum Auslösen von Immunreaktionen zu produzieren beginnen.

Dabei sah es lange nicht nach einer solchen Erfolgsgeschichte aus. Forscher wie Kariko kämpften jahrelang nicht nur mit Finanzierungsproblemen. Die Forscherin wusste, dass synthetische RNA anfällig für die natürlichen Abwehrkräfte des Körpers ist und wahrscheinlich zerstört würde, bevor sie ihre Zielzellen erreicht. Schlimmer noch war, dass das daraus resultierende Chaos eine Immunantwort auslösen könnte, die die Therapie für einige Patienten zu einem Gesundheitsrisiko machen könnte.

Ein Durchbruch gelang erst im Jahr 2005, als Kariko gemeinsam mit Kollegen herausfand, wie man mRNA ohne unerwünschte Nebenwirkungen verabreichen konnte. Bei der synthetischen Variante wird einer der vier Bausteine (normalerweise Adenin, Cytosin, Guanin und Uracil) durch ein anderes Molekül ersetzt wird. Das führt zu einer stark verminderten Immunantwort auf "fremde" mRNA.

Mangelnde Stabilität

"Die Leute an der Universität von Pennsylvania haben mich oft ausgelacht", skizzierte Kariko der Nachrichtenagentur Reuters. "Das letzte Mal, dass sie sich über mich lustig machten, war vor sieben Jahren, als sie erfuhren, dass ich bei Biontech einsteigen wollte, und ihnen klar wurde, dass diese Firma nicht einmal eine Website hatte", erklärte sie. Heute hofft sie, dass mit der Methode nicht nur Impfstoffe, etwa auch gegen die Grippe, entwickelt werden können, sondern auch neue Therapien gegen Krebs. Eine hohe Hürde sei dabei allerdings noch zu überwinden. Denn während ein Virus ein fremder Eindringling ist, sind Krebszellen körpereigene Zellen. Das mache sie zu einem schwierig zu bekämpfenden Ziel.

Die größte Hürde für die Anwendung der Technologie ist jedoch die mangelnde Stabilität der RNA-Teile in Zellen selbst. Naturgemäß sollen die Boten den Ribosomen nur für einen bestimmten Zeitraum die Anleitung für den Bau von Proteinen liefern. Bestimmte Enzyme bauen die RNA dann wieder ab, was die Wirksamkeit solcher Therapien oder Impfungen unmöglich machen oder drastisch reduzieren kann. Die Halbwertszeit von mRNA in Zellen kann Minuten, aber auch nur wenige Stunden betragen. Heute ist es Experten zufolge möglich, der Boten-RNA eine Stabilität von bis zu zwei Wochen zu geben. Die Nagelprobe steht nun mit den ersten Impfungen an.