Martin Schulz gibt den Parteivorsitz in der SPD ab, Andrea Nahles soll übernehmen. Vizekanzler wird angeblich Olaf Scholz. Mit alten Gesichtern versucht die Partei so den Neustart.
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Berlin/Wien. 100 und 20,5. Diese beiden Zahlen spiegeln Aufstieg und Fall von Martin Schulz wider. Mit 100 Prozent wurde der frühere Buchhändler bei einem Parteitag im März vergangenen Jahres zum Vorsitzenden der SPD gewählt. 20,5 Prozent der Stimmen erhielten die deutschen Sozialdemokraten dann bei der Bundestagswahl im September.
Der anfänglich so gefeierte Spitzenkandidat hatte nach einem verkorksten Wahlkampf das schlechteste Ergebnis der SPD in der Nachkriegsgeschichte zu verantworten. Zwar verlor auch die Union kräftig an Zuspruch, mit rund 33 Prozent lag sie aber immer noch deutlich vor der SPD.
Seitdem war Schulz ein angeschlagener und taumelnder Parteichef. Und er unterminierte seine Position nochmals, indem er ohne Not verkündete, dass die SPD lediglich für Opposition oder Neuwahlen zur Verfügung stehe. Mittlerweile hat er eine große Koalition ausverhandelt. Damit hat er sich selbst und seiner Partei ein Glaubwürdigkeitsproblem eingehandelt.
Die SPD scheint nun aber einen Ausweg aus dieser Misere zu suchen. Schulz gibt seinen Parteivorsitz ab, als Nachfolgerin schlug er am Mittwoch die Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles vor. Allerdings soll er Außenminister werden. Auch wenn Schulz angekündigt hat, dass er in einem Kabinett Merkel keinen Posten annehmen will, ist das das Amt, das ihm noch am ehesten inner- und außerparteilich wieder Glaubwürdigkeit einbringen könnte. Denn der frühere EU-Parlamentspräsident ist ein glühender Europäer.
Bei den innerparteilichen und öffentlichen Debatten wird Schulz nun aber eine Reihe weiter hinten Platz nehmen. Hier werden künftig andere den Ton angeben. Etwa Olaf Scholz. Der (Noch-)Bürgermeister von Hamburg soll laut deutschen Medienberichten Finanzminister und Vizekanzler werden. Die stärkste Stimme in der Partei wird aber künftig die von Andrea Nahles sein. Die 47-Jährige, die bereits die Parlamentsfraktion anführt, soll nun auch Parteivorsitzende werden.
Das ist ein durchaus logischer Schritt. Nahles hatte zuletzt immer mehr Einfluss in der Partei gewonnen. Sie - und nicht Schulz - hatte beim Parteitag vor zweieinhalb Wochen die flammendste und überzeugendste Rede für eine große Koalition gehalten, als die SPD darüber abstimmte, ob sie überhaupt mit der Union verhandeln will. Die Partei auf die große Koalition einschwören, wird auch künftig die vordringlichste Aufgabe für die Frau aus dem rheinland-pfälzischen Dorf Weiler sein. Denn dem Bündnis mit der Union müssen noch die 463.000 Parteimitglieder bei einem internen Entscheid zustimmen.
Nahles war in der nun abtretenden große Koalition Arbeitsministerin, nun soll sie ohne Ministeramt bleiben. Ihre Handschrift war in den vergangenen Jahren unverkennbar: Nahles hat die Leiharbeit eingeschränkt und den Mindestlohn eingeführt. Die Germanistin hat immer wieder argumentiert, dass die SPD nur dann ihre Anliegen verwirklichen könne, wenn sie auch regiert - weshalb ihr das Eintreten für die große Koalition auch abgenommen wird. Zudem gilt die seit ihrer Jugend in der SPD verwurzelte Politikerin als bestens vernetzt innerhalb der Partei.
Zwei ehemalige Rivalensollen die Partei nun einen
Allerdings muss sie noch die Jungsozialisten (Jusos) rund um ihren rhetorisch gewieften Vorsitzenden Kevin Kühnert bändigen. Diese sind lautstarke Gegner einer großen Koalition. Für Nahles ist das eine Begegnung mit der eigenen Vergangenheit: Sie selbst war früher Juso-Vorsitzende und später linke Parteirebellin, die, oft mit sehr schrillen Auftritten die Agenda 2010 des früheren Kanzler Gerhard Schröder lautstark kritisierte. Einer ihrer größten Gegenspieler war damals ausgerechnet Olaf Scholz: In seiner Funktion als SPD-Generalsekretär verteidigte er immer wieder die Agenda-Politik, weshalb er als "Scholz-o-mat" verspottet wurde.
Ausgerechnet die beiden früheren Rivalen werden künftig offenbar die zwei wichtigsten Politiker in der SPD sein. Allerdings sollen die beiden mittlerweile einen Draht zueinander gefunden haben. Was auch an einer inhaltlichen Annäherung liegt. Nahles ist pragmatischer geworden, während Scholzens Agenda-Verteidigung auch sehr seiner damaligen Position geschuldet war.
Sowohl Scholz als auch Nahles sind altgediente SPD-Politiker. Ausgerechnet diese zwei bekannten Gesichter müssen nun ein wieder aufgewärmtes, ungeliebtes Zweckbündnis mit der Union als Neustart für die SPD verkaufen und - eine Zustimmung der Mitglieder vorausgesetzt - die nächsten vier Jahre moderieren. Und das vor dem Hintergrund, dass die in den Umfragen immer weiter nach unten purzelnde SPD mit dem Rücken zur Wand steht.