Zum Hauptinhalt springen

Nahrungsmittel für Theaterbesuche, Ohnmacht aus Hunger

Von WZ-Korrespondentin Anke Stefan

Wirtschaft

Sparmaßnahmen gehen der griechischen Mittelklasse an die Substanz.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Athen. Ein Theater in Griechenlands zweitgrößter Stadt Thessaloniki ist angesichts zunehmender Armut und Hunger im Land zum Tauschhandel übergegangen. In einer Erklärung des Nationaltheaters Nordgriechenlands hieß es, statt Eintrittskarten sollten die Besucher lang haltbare Nahrungsmittel mitbringen. Diese kämen über soziale Einrichtungen Waisen und alleinerziehenden Müttern zugute. Die Initiative gilt zunächst für fünf Vorstellungen im März und April. "Theater für Essen" ist die neueste Aktion einer ganzen Reihe von Selbsthilfegruppen, die sich als Reaktion auf die Wirtschaftskrise gebildet haben: Einige verweigern die Bezahlung von Mautgebühren oder Zugfahrscheinen. Andere sind nun dazu übergegangen, Agrarprodukte direkt von den Bauern an die Verbraucher zu bringen - unter Umgehung von Zwischenhändlern und Supermarktketten.

Mehr als 20 Prozent Arbeitslose, fast 30 Prozent, die ihr Leben an der Armutsgrenze fristen. Hinter diesen Zahlen stehen in Griechenland Menschen, die nicht mehr imstande sind, unvorhergesehene Ausgaben, Sondersteuern oder auch nur die laufenden Raten von Kreditverträgen zu bewältigen.

Georgia Hasapi etwa arbeitet seit zehn Jahren in der Zentrale der noch staatlich kontrollierten Agrarbank in Athen. Ihr Lebensgefährte Thanassis Kourkoulas ist Gymnasiallehrer für Informatik. Sie sind Doppelverdiener ohne Kinder, da sollte es doch keine Probleme geben. Doch weit gefehlt. Statt 1500 Euro bleiben Georgia seit den ersten Sparmaßnahmen mit Wirkung zum Jänner 2011 nur noch 1100 Euro netto im Monat.

Das Gehalt von Thanassis ist von 1200 auf 900 Euro netto gesunken. Nach Abzug von Hausrenovierungskredit und rückwirkenden Sondersteuern bleiben noch 600 Euro. Weil das zum Leben nicht reicht, sind sie bereits drei Raten im Rückstand. Da nützt es auch nichts, dass die beiden zusammen in einem Haus wohnen, das Thanassis geerbt hat, und Georgia ihre kleine Altbauwohnung vermietet. "Die Miete beträgt weniger als die 400 Euro monatliche Ratenzahlung für den Wohnungskredit, drei Mieten gehen allein für die diversen Immobiliensteuern drauf", erläutert Georgia. "Ich müsste noch acht Jahre abzahlen, aber das wird nicht funktionieren." Wenn sie es nicht schafft, die Wohnung auf dem durch Überangebot brachliegenden Immobilienmarkt zu verkaufen, wird die Bank sie ihr über kurz oder lang wegnehmen.

Das Gymnasium von Thanassis Kourkoulas liegt in einer sozial schwachen Gegend. In seiner Schule sind bereits mehrfach Kinder im Unterricht vor Hunger ohnmächtig geworden. "Anfangs hat die Bildungsministerin Berichte darüber als populistische Propaganda abgetan, jetzt will sie angeblich Schulspeisungen einrichten", sagt Thanassis. "Zumindest bei uns ist es aber bei der Ankündigung geblieben."

Darbende Kleinunternehmer

Manolis Katatanas und Sofia Panourgou, die Eltern der sechsjährigen Stella, betreiben einen Kiosk in Athen. Vor zwölf Jahren hat Manolis dieses Kleinstunternehmen gekauft. "In drei Jahren hatte ich ihn abbezahlt, und leben konnten Sofia und ich davon damals auch", erzählt er - vor allem, wie jeder Kiosk, über den Zigarettenverkauf: "Früher verdienten wir 9,5 Prozent vom Verkaufspreis, das waren 15 bis 20 Cent pro Päckchen", erläutert Manolis.

Trotz durch Steuererhöhungen drastisch gestiegener Preise verdient Manolis heute nur noch 7 bis 9 Cent pro Päckchen. Und auch die gesunkene Kaufkraft schlägt auf das Geschäft. "Früher haben die Leute zusammen mit den Zigaretten auch den einen oder anderen Schokoriegel gekauft", sagt Manolis. "Heute gehen die kaum noch weg."

Dazu kommt, dass der Beruf immer gefährlicher wird. Sechs bis sieben Mal wurden Manolis und Sofia in den vergangenen Jahren Opfer von Einbruch und Raubüberfall. "Aber wir können uns die von den Versicherungen verlangten Sicherheitsmaßnahmen nicht leisten und nicht einmal deren Prämien bezahlen", sagt Manolis. Allein für ihn kostet die Sozialversicherung 365 Euro im Monat, die Zusatzversicherung für Sofia geben die Einnahmen längst nicht mehr her.