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Naht das Ende der gut bezahlten Überstunden?

Von Sissi Eigruber

Wirtschaft

Was sich die Unternehmer ersparen wollen, ist für die Arbeitnehmer oft ein wichtiger Bestandteil der Entlohnung. Die Rede ist von den Überstundenzuschlägen, denen es im Rahmen der Arbeitszeit-Debatte an den Kragen gehen könnte.


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Die Argumentation der Arbeitgeber, dass sie die Arbeitskräfte flexibler entsprechend der Auftragslage einsetzen möchten und daher für die Überstunden gerne einen Durchrechnungszeitraum von einem Jahr hätten, glaube er gerne, meint Christoph Klein, Leiter des Bereichs Soziales der Arbeiterkammer (AK) im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Effektiv bedeute dies aber weniger Geld für die Arbeitnehmer, betont Klein.

Nach Berechnungen der Arbeiterkammer würde der Einkommensverlust beim Wegfall von bezahlten Überstunden für die österreichischen Arbeitnehmer pro Jahr über 1 Mrd. Euro betragen. Jährlich werden in Österreich - alleine von Menschen, die regelmäßig länger Arbeiten - 180 Mio. Überstunden gemacht. Etwa 3/4 davon werden bezahlt, der Rest wird mit Zeitausgleich abgegolten. Würden diese Überstunden nicht mehr als solche bezahlt, bedeute dies daher nicht nur eine Ersparnis für die Betriebe, sondern auch einen Kaufkraftverlust. Bei dieser Aufstellung seien nicht alle geleisteten Überstunden erfasst, betont Klein, denn bereits jetzt würden laut Mikrozensus ein Fünftel der Überstunden gar nicht bezahlt.

Den Wunsch nach mehr Arbeitseinsatz ohne überproportionale Mehrkosten (Überstunden werden im Verhältnis 1:1,5 bezahlt), scheinen sich manche Unternehmen auch schon ohne den nötigen gesetzlichen Rahmen zu erfüllen. Deshalb erregt aktuell der Rewe-Konzern (Billa, Merkur, Mondo, Penny, Emma, Bipa) die Aufmerksamkeit: Allein die Arbeiterkammer Niederösterreich berichtet über mehr als 200 Rewe-Mitarbeiter, die sich Hilfe suchend an die Interessensvertretung gewandt haben, weil der Konzern angeblich in vielfältiger Weise gegen das Arbeitsrecht verstößt und auch Überstunden nur zum Teil auszahlt. Rewe Austria hat nach eigenem Bekunden nun eine "Task Force" eingesetzt, "um jedem bekannt gewordenen Vorwurf gemeinsam mit dem Betriebsrat unmittelbar nachzugehen". Man wolle die Vorwürfe "vorbehaltlos aufklären", wurde seitens Rewe Austria beteuert.

"Dieses Problem ist keinesfalls nur auf den Handel beschränkt", erläutert dazu Kurt Retzer, Leiter der AK-Rechtsabteilung. "Das ist ein Standard-Thema bei jeder zweiten Beendigung." Allerdings sei die Beweisführung wegen fehlender Arbeitszeitaufzeichnungen oft schwierig. Retzer rät daher allen Arbeitnehmern selbst genaue Aufzeichnungen über die Arbeitsstunden zu machen. Bei aufrechtem Diensverhältnis würden sich die wenigsten trauen, das Geld für die Überstunden einzufordern, da sie um ihren Job fürchten, berichtet Retzer.

Der Forderung nach einem neuen gesetzlichen Rahmen für die Arbeitszeitregelung hat sich jüngst auch ÖVP-Wirtschaftssprecher Karlheinz Kopf angeschlossen: Überstunden sollen über ein Jahr hinweg durchgerechnet werden, die wöchentliche Normalarbeitszeit von 40 auf 48 Stunden angehoben werden, so seine Forderung.

Derzeit beträgt die Normalarbeitszeit laut österreichischem Arbeitsgesetz 8 Stunden pro Tag und 40 Stunden pro Woche. "Jede Überschreitung ist grundsätzlich als Überstunde abzugelten", so Klein. Für die 9. Stunde am Tag oder die 41. in der Woche muss also der 1,5fache Stundensatz bezahlt werden. Oder die Überstunden werden mit entsprechendem Zuschlag als Zeitausgleich abgegolten, wenn der Arbeitnehmer damit einverstanden ist (siehe Info-Kasten). Bei einer Durchrechnung über das ganze Jahr hinweg, würden nur mehr jene Arbeitsstunden als Überstunden zählen, die über einer bestimmten Stundengrenze für das ganze Jahr liegen.

In einigen Kollektivverträgen gibt es schon jetzt Regelungen über längere Durchrechnungszeiträume von mehreren Wochen oder Monaten. Jedenfalls sind Überstunden grundsätzlich vereinbarungspflichtig. Gesetzesänderungen, die zu (bedarfsweise) längeren Arbeitszeiten verpflichten, würden sich gravierend auf das Privatleben der Arbeitnehmer auswirken, meint Klein. Bisher dürfen Arbeitnehmer nur dann zur Überstundenarbeit herangezogen werden, wenn "berücksichtigungswürdige Interessen des Arbeitnehmers der Überstundenarbeit nicht entgegenstehen". Wenn zum Beispiel jemand sein Kind vom Kindergarten holen muss, ist das ein berücksichtigungswürdiges Interesse, erklärt Klein.

Klein spricht sich vehement gegen eine Änderung des österreichischen Arbeitszeitgesetzes aus. Die Vereinbarungen sollten auch künftig branchenspezifisch in den Kollektivverträgen geregelt werden, "das ist ganz entscheiden, denn da haben die Gewerkschaften die Hand drauf". Die könnten sich besser durchsetzen und für die Arbeitnehmer bessere Regelungen erzielen als einzelne Arbeitnehmer oder Betriebsräte.