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Naive Vorstellungen

Von Lauran Neergaard

Wissen

"Ich will meinen Sohn wiederhaben", hieß es in der E-Mail eines Vaters, der seinen Achtjährigen verloren hatte. Ob man ihn nicht klonen könne, fragte er an. In einer anderen E-Mail stand: "Angenommen, ich bin 33 und möchte geklont werden - ist der Klon dann auch 33, oder kommen die als Baby auf die Welt?" Eine Frau schrieb, Klonen sei für sie die einzige Möglichkeit, ein Kind zu bekommen - nur, würde dieses dann beiden Eltern gleich sehen "oder muss man sich für einen Elternteil entscheiden?"


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Was im Internet an Anfragen zu lesen ist, zeigt oft genug, dass viele Menschen wenig Ahnung davon haben, was Klonen eigentlich ist, und noch weniger davon, wie risikobehaftet die Technologie heutzutage noch ist, wie die bisherigen Klonexperimente mit Tieren belegen. Wissenschafter, ohnehin genervt durch Klon-Fantasien von Unfruchtbarkeitsärzten und Sekten, sehen rot, wenn sie mit der naiven Vorstellung konfrontiert werden, dass Klonen - etwa eines lieben Menschen - in naher Zukunft die Erlösung aus persönlicher Not bringen könne.

Klonen ist in der Bevölkerung nicht populär. Laut einer vom Amerikanischen Museum für Naturgeschichte in Auftrag gegebenen Umfrage unter 1.000 Personen sind 92 Prozent der Amerikaner dagegen, eine geliebte Person durch Klonen zu reproduzieren. Rund 86 Prozent möchten auch kein Lieblingstier geklont wissen. Befürworter des Klonens halten dagegen, sie hätten Hunderte von Interessenten für Klondienste an der Hand - und versicherten in der letzten Märzwoche bei einer Anhörung im Kongress, das sei eine ganz sichere Sache, weil man die Klon-Embryonen vor Implantation in den Körper der Leihmutter auf Defekte untersuchen könne.

Tier-Kloner erklären, wenn es solche Möglichkeiten tatsächlich schon gäbe, würde das Klonen von Tieren nicht so oft mit einem Fehlschlag enden. Zwar machten und machen das Schaf Dolly und andere durch Klonen konzipierte Tiere - Kühe, Schweine, Ziegen, Mäuse - in den Medien Furore, aber die meisten Klon-Tiere verenden, häufig schon im embryonalen Stadium. Andere kommen als Totgeburten auf die Welt, behaftet mit monströsen Abnormalitäten. Aufgedunsene Muttertiere erleiden schmerzhafte Fehlgeburten und verenden manchmal selbst dabei. Neugeborene Klontiere ringen auf Intensivstationen nach Luft und müssen per Gnadentod von ihren Leiden erlöst werden.

Auch wenn die neugeborenen Tiere zunächst überleben, bleibt ihr Zustand instabil. Kalifornische Wissenschafter meldeten vor kurzem den Tod von zwei geklonten Jungrindern, die wahrscheinlich wegen Defekten des Immunsystems nicht im Stande waren, Infektionen zu überstehen.

Affen, die nächsten Verwandten des Menschen, sind überhaupt noch nicht geklont worden. Was das Klonen von Menschen nach derzeitigem Stand der Wissenschaft erbringen würde, gleicht einer Schreckensvision. Der Biologe Rudolf Jaenisch von der Technischen Hochschule von Massachusetts (MTI) zählt auf, was man bei den ersten 100 Versuchen erwarten könnte:

Vielleicht fünf Lebendgeburten - davon sterben die meisten innerhalb weniger Tage oder Wochen an Abnormalitäten von Herz, Nieren, Leber oder Lunge. Ein oder zwei könnten überleben und nach außen hin unauffällig erscheinen, jedoch erhebe sich die Frage, ob ihr Gehirn normal sei und ob sich ihre Zellen normal vermehrten, was eine Voraussetzung für das Ausbleiben von Krebs und frühem Altern sei. Die meisten Leihmütter würden riskante Fehl- und Totgeburten erleiden, mindestens aber eine schwere Schwangerschaft, weil Fötus und Plazenta ungewöhnlich groß wären (manche Klontiere hatten bei der Geburt das Zweifache der Normalgröße).

Prinzipiell könne man Menschen klonen, so Jaenisch, aber die Technik müsse vorher im Tierexperiment vervollkommnet werden. "Die Totgeburten wären nicht das Schlimmste. Das Schlimmste wären jene, die lebend auf die Welt gekommen sind und im Beatmungsgerät künstlich am Leben gehalten werden müssen."

In jedem Fall enttäuschend

Hinzu kommt, dass naive Hoffnungen enttäuscht werden würden. Wenn sich beispielsweise jemand mit 33 erfolgreich klonen lassen würde, wäre er schon fast 67, wenn der Klon 33 ist. Auch kann ein Klon nicht zwei Menschen ähnlich sehen, verwendet werden nur die Gene einer Person. Und schließlich kann man einen verstorbenen Achtjährigen nicht so reproduzieren, wie er einmal war. Man kann nur den Erbinformationsträger, die DNA, übernehmen, nicht aber Persönlichkeit und Charakter, die durch die Umwelt und Lebenserfahrung in einzigartiger Weise geformt wurden.