Angesichts der anstehenden großen Probleme fordern die Wähler eine konstruktive Haltung, ist der Wiener Politologe Peter Gerlich im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" überzeugt. Grünen-Chef Alexander Van der Bellen habe dies - nach anfänglichem Zögern - nun auch verstanden. Kein Verständnis bringt Gerlich für die bei manchen Grünen verbreitete Haltung auf, Sympathie zur Grundlage von Politik zu machen: "Das ist ein unreifer, naiver Zugang."
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 21 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Das politische System lernt nun, wie Demokratie funktioniert", analysiert der Wiener Politologe den mühevollen und - in den Augen mancher schon zu - langen Weg zu einer neuen Bundesregierung. Früher sei die Regierungsbildung weitgehend als Ritual erstarrt gewesen. Nun stehe man jedoch vor einer Situation, in der rechnerisch und auch politisch viele Varianten möglich sind. Das sei für alle Beteiligten eben etwas ungewohnt und neu, so Gerlich.
Die Wähler fordern von jeder Partei angesichts der großen Probleme, vor denen das Land stehe, eine konstruktive Haltung ein. Das habe nun auch die Führungsspitze der Grünen rund um Van der Bellen begriffen. Zahlreiche Wähler der Grünen seien irritiert über das anfängliche Nein zu Gesprächen mit der ÖVP gewesen.
Die innerparteilichen Widerstände bei den Grünen gegen eine Koalition mit der Volkspartei will Gerlich nicht überbewerten: "Wäre ich Funktionär, würde ich auch versuchen, mich mit einem Nein über die Medien zu profilieren", erklärt er dieses Verhalten aus der Logik einer basisorientierten Parteistruktur, wie sie die Grünen besitzen. Nichts abgewinnen kann Gerlich dagegen einem Zugang, der die Möglichkeit politischen Gestaltens von der Frage Sympathie/Antipathie abhängig macht: "Das ist ein unreifer, naiver Zugang zu Politik."
Honoriert werden könnte eine schwarz-blaue Regierungsvariante von den Wählern auch wegen ihres "niedrigen Werts auf der Populismusskala", spekuliert Gerlich und argumentiert dies mit den gemeinsamen bürgerlichen Wurzeln beider Parteien.