Ägypten blickt in eine düstere Zukunft: Die Voraussetzungen für Normalisierung fehlen.
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Die Alternativen für Ägypten: ein autoritäres Militärregime, das ohne Zögern mit scharfer Munition auf unbewaffnete Demonstranten schießt, oder die autoritäre, arrogante, kompromisslose und regierungsunfähige Muslimbruderschaft. Geschichte, das ist am Beispiel des Arabischen Frühlings zu sehen, ist mehr grausame, schonungslos-darwinistische Evolution und wenig göttliches, intelligentes Design. So werden eben auch hier die Kreationisten eines Besseren belehrt.
Frieden ist schwieriger als Revolution, wie die "New York Times" so treffend titelte: In Libyen haben Milizen das Vakuum aufgefüllt, das sich nach dem Sturz des Diktators Muammar Ghaddafi aufgetan hat. In Syrien mündeten die Demonstrationen gegen das Baath-Regime von Bashar al-Assad in einen Bürgerkrieg, der bisher über 100.000 Menschen das Leben gekostet hat. In Tunesien nimmt die politische Polarisierung zu, politische Morde haben den Graben zwischen modernen Säkularisten und Islamisten vertieft, der Entwurf einer neuen Verfassung liegt in weiter Ferne. In Bahrain, einem kleinen Königreich am Persischen Golf, unternimmt die sunnitische Elite nichts, um mit der unterprivilegierten schweigenden schiitischen Mehrheit ins Gespräch zu kommen.
Und die Revolution in Ägypten belegt einmal mehr, dass Geschichte nicht in geraden Vektoren verläuft, die vom Heute ins Morgen zeigen, sondern in verwirrenden Verästelungen und verschlängelten Mäandern vorwärts schreitet, chaotisch, unberechenbar, impulsiv. Und in Ägypten wiederholt sich die Geschichte: zuerst als Tragödie, dann als noch größere Tragödie.
Am 25. Jänner 2011 begann die Revolution in Ägypten, die Demonstranten lehnten sich gegen die Brutalität der Polizei und den Mangel an Freiheit auf und demonstrierten gegen Inflation, Misswirtschaft und Korruption. Am 11. Februar 2011 musste Präsident Hosni Mubarak zurücktreten, der Oberste Rat der Armee übernahm die Macht, eine Woge der Begeisterung spülte durchs Land. Der Militärregierung wurden freie Wahlen abgetrotzt, in denen Mohammed Mursi zum Präsidenten gewählt wurde. Liberale, Linke, Säkularisten und Christen misstrauten dem Mann der konservativ-islamischen Muslimbruderschaft von Anfang an. Als der Präsident sich Ende 2012 in einer Verfassungsdeklaration mit einer Vielzahl an neuen Kompetenzen ausstatten ließ, ging die Opposition auf die Straße. Massendemonstrationen, zu denen die Protestbewegung Tamarod aufgerufen hat, kulminierten am 30. Juni 2013 in landesweiten historischen Demonstrationen. Drei Tage später wurde Mursi von den Militärs aus dem Amt geputscht, die Proteste der Muslimbrüder am 14. August gegen Mursis Amtsenthebung wurden von der Armee zusammengeschossen, es gibt mehr als 600 Tote und über 2000 Verletzte.
Ägypten steht wieder am Anfang
Zweieinhalb Jahre nach Hosni Mubaraks Sturz steht Ägypten wieder am Anfang: Doch nach den Massenprotesten vom 30. Juli und dem darauf folgenden Putsch gegen Mursi und dem Massaker des 14. August stehen die Chancen auf einen demokratischen Übergang noch schlechter. Das Land steht nun vor einem Transformationsprozess wie jenem, den es gerade erlebt hat - "wenn auch mit anderen Akteuren, mehr belastet und brutaler. Die Polarisierung zwischen den Anhängern und Gegnern des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi gibt Anlass zur Sorge vor noch mehr Blutvergießen", ist in einem jüngst veröffentlichten Bericht der "International Crisis Group" zu lesen. Die Armee ist davon überzeugt, über ein unbeschränktes Mandat zur blutigen Niederschlagung der Proteste zu verfügen, die Muslimbruderschaft wiederum scheint dazu entschlossen, hunderte ihrer Anhänger ohne Federlesens einem islamistischen Märtyrerkult zu opfern, anstatt zur Mäßigung aufzurufen. Derzeit ist niemand mit einer Deeskalationsstrategie zur Stelle: Denn die liberalen Kräfte müssten, anstatt sich über den Sturz von Präsident Mursi zu freuen, für die Freilassung der politischen Häftlinge - angefangen mit Mursi - eintreten und müssten für das Demonstrationsrecht der Andersdenkenden (= Muslimbrüder) kämpfen. Der früher in Wien amtierende Generalsekretär der Atomenergiebehörde, Mohammed ElBaradei, hat das einzig Richtige getan und ist aus Protest gegen die exzessive Gewalt gegen die Demonstranten als Vizepräsident zurückgetreten.
Die Reaktion der EU und der USA auf den Militärputsch und das von den neuen Machthabern zu verantwortende Massaker ist hingegen unangemessen: Das Einbestellen der ägyptischen Botschafter und die Absage der traditionellen US-ägyptischen Militärmanöver ist keine adäquate Antwort auf mehr als 600 niedergemetzelte Demonstranten.
Wer darauf gehofft hat, dass der Arabische Frühling einen raschen Wechsel zur Demokratie bringen wird, ist nun enttäuscht. Doch diese Hoffnung war naiv: Der Fall des Eisernen Vorhangs brachte Kriege am Balkan und Blutvergießen in den Ausfransungen des Gebiets der ehemaligen Sowjetunion und selbst heute gehen nicht alle EU-Länder Zentral- und Osteuropas als lupenreine Demokratien durch. Und die Geschichte des modernen Nahen Ostens ist noch komplexer als jene Ost-Mitteleuropas. Denn in Nahost hat der Zerfall des Osmanischen Reichs und die anschließende Aufteilung der Region zwischen Frankreich und Großbritannien im Sykes-Picot-Abkommen von 1916 und im Friedensvertrag von Sèvres zwischen der Entente und dem Osmanischen Reich 1920 bis heute Konsequenzen. Die westlichen Mächte haben den Nahen Osten damals nach ihren Wünschen geformt und ein künstliches System von Nationalstaaten geschaffen, schreibt David Fromkin in seinem Standardwerk zu diesem Thema, "A Peace to End All Peace". Die Basis des politischen Lebens im Nahen Osten - die Religion - wurde dabei ignoriert. Russland versuchte der Region sein kommunistisches Modell aufzudrängen, die Briten schlugen Nationalismus oder ein System dynastischer Regimes vor.
Doch der iranische Ayatollah Ruhollah Khomeini lehnte sich gegen dieses von den Briten aufoktroyierte System ebenso auf wie die Moslembruderschaft in Ägypten oder in Syrien. Die Franzosen erlaubten zwar Religion als Basis der Politik, aber in Form einer Divide-et-impera-Strategie. Der von 1975 bis 1990 dauernde Bürgerkrieg im Libanon, in dem zwischen 120.000 bis 150.000 Menschen ums Leben gekommen sind, war ein Ergebnis dieser fehlgeleiteten Politik.
Zwei neue Faktoren spielen heute eine Rolle: das Ende der Pax Americana, mit einem Amerika, das seine Interessen mehr in der Asien-Pazifik-Region und weniger im Nahen Osten verfolgen will. Zweitens die Unfähigkeit der Länder des Nahen Ostens, eine wirtschaftliche Existenzfähigkeit jenseits von Öl- und Gaseinkommen zu begründen. Zudem ist Ägypten mit dem ungebremsten Bevölkerungswachstum völlig überfordert: Wovon sollen all die jungen Menschen leben? Die Ressourcen im Land reichen kaum aus, um der heutigen Bevölkerung eine menschenwürdige Existenz zu sichern. Düstere Aussichten für Ägypten.