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Der öffentliche Diskurs in Österreich über Rassismus bzw. darüber, was als rassistisch gilt, ist offensichtlich vor allem eines: eine Geschichte voller Missverständnisse. Das ist etwa an der Blackface-Debatte erkennbar, die in den letzten Wochen entflammt ist. Darf man oder darf man das nicht: Sich als weißer Künstler das Gesicht schwärzen, um einen Schwarzen darzustellen?
Zur Erinnerung: Blackface hat seinen Ursprung in der US-amerikanischen Theaterszene ("Ministrel") zu Anfang des 19. Jahrhunderts, als Schwarze auf diese unsägliche Weise vor weißem Publikum vorgeführt wurden: als naiv und schwachsinnig grinsend. Warum das jetzt so rassistisch ist? Der (früher gerne als Argument bemühte) Deckmantel des "in die andere Haut schlüpfen" passt hier einfach nicht. Man setzt sich beim Blackfacing weder mit den eigenen kulturellen Ängsten auseinander, noch stellt man sich rassistischen Vorurteilen. Die Blackface-Maske dient einzig und allein als plumpe Projektionsfläche für die eigenen Bedürfnisse, sich Narrenfreiheit zu verschaffen und die weiße Überlegenheit zu demonstrieren.
Und jetzt zu Österreich. Auf dem Opernball sorgte Puls-4-Scherzkeks Chris Stephan hierzulande und international für einen Eklat, weil er sich – wie er sagt unwissend – der rassistischen Maskerade bediente. Umgehend und beispielhaft hat sich der Privatsender in einer Live-Sendung um Aufklärung bemüht und sich "in aller Form für den inakzeptablen Auftritt" entschuldigt.
Ähnliches Bedauern löste ein Vorfall in der Kulturszene aus. Blackface-Plakate des Stücks "Otello darf nicht platzen" im Theater Akzent, überall in der Stadt gesichtet, wurden vom Grünen Kultursprecher Klaus-Werner Lobo im Internet verbreitet. Auch hier zeigte die Theaterleitung Unbehagen und entfernte die Blackfacing-Sujets von ihrer Homepage. Zudem wies man eine "inhaltliche Verantwortung für das eingemietete Stück" von sich und distanzierte sich "von allfälligen politisch unkorrekten, nicht mehr zeitgemäßen Darstellungsweisen". Wie kann es aber sein, dass sich ein Theater von einem Stück, das auf der eigenen Bühne aufgeführt wird, distanziert? Na gut, siehe Hofburg – Akademikerball. Österreichische Distanzkultur.
Es geht allerdings noch besser: Die renommierten Wiener Festwochen lassen sogar diese Distanz vermissen. Derzeit erregt das von Johan Simons neu inszenierte Stück "Die N*****" die Gemüter. Gleich zwei Tretminen leistet man sich: Das N-Wort und Blackface. Auf Englisch trägt das Stück den sensiblen Titel "The Blacks". Wieso nicht im Deutschen? Der ursprüngliche Regisseur Jean Genet hatte 1958 explizit auf ein schwarzes Ensemble gepocht und eine Blackface-Inszenierung abgelehnt. Möchte uns Simons auf brutale Weise den immer noch herrschenden Alltagsrassismus und postkolonialistische Mechanismen vorführen? Auf Anfrage hieß es: "Seitens der Wiener Festwochen, der Münchner Kammerspiele und des Schauspielhauses Hamburg als Koproduzenten sowie von Regisseur Johan Simons und seinem Team wird es in der kommenden Woche eine akkordierte Stellungname geben." Eine Woche Bedenkzeit, um die Blackfacing-Problematik zu argumentieren. Auf die Legitimation bin ich gespannt.
Und es ist nicht der erste Vorfall. Bereits im Sommer 2012 wurden die Wiener Festwochen mit dem Vorwurf des Rassismus konfrontiert. Für Aufregung sorgten damals Werbeplakate, die zwei schwarze Reinigungskräfte vor einem Gemälde mit kolonialem Schiff zeigte. Das umstrittene Sujet – entnommen aus dem Film "Paradies" des österreichischen Regisseurs Ulrich Seidl – bediene Klischees und reproduziere Stereotypen, kritisierte der Verein "Schwarze Frauen Community". Deren Vereinssprecherin, Esther Iris Kürmayr, wurde vom leitenden Dramaturgen Matthias Pees mit dem Argument abgespeist, es handle sich um "einen künstlerischen Beitrag und keine Benetton-Werbung". Er wies jeglichen diskriminierenden Zusammenhang von sich. Im Gegenteil: Das Bild thematisiere Rassismus und klage die Folgen kolonialer Ausbeutung von Afrikanern an. Das sei nur auf den zweiten Blick erkennbar und auf das Festwochen-Klientel zugeschnitten. Für Kürmayr seien das bloß "intellektuelle Rechtfertigungsversuche, die von Unwissenheit und einem Mangel an Wahrnehmung der Perspektive Betroffener zeugen".
Ein interessantes Detail am Rande: Pees, der auch im Namen der Schauspieldirektorin Stefanie Carp und Intendant Luc Bondy sprach, argumentierte mit dem Segen des Künstlers Dieudonné. Dieser habe ihnen zum Plakatmotiv expliziert gratuliert, "das er auf den ersten Blick als ein politisches Statement und dessen mögliche Interpretation als ‚rassistisch‘ oder ‚diskriminierend‘ er als völlig absurd empfand." Der französisch-kamerunische Komiker stand im Jänner 2014 wegen antisemitischen Äußerungen in einem seiner Stücke in der Kritik.
Problematisch am Diskurs hierzulande ist zum einen, dass er über den Köpfen der Betroffenen geführt wird und sie kaum zu Wort kommen. Ein Übel, das wir bereits aus dem Migranten-Eck kennen. Zum anderen ist die Vergangenheit mit Rassismus und Kolonialismus in den USA natürlich eine andere als in Österreich. Nicht, dass die USA frei von Rassismus wären. Aber das Bemühen um einen sensibleren Umgang mit rassistischen Codes und rassistischer Sprache ist schon einen Schritt weiter als bei uns: Hierzulande fallen in der Debatte Argumente wie "wir haben als Kinder das N-Wort gesagt und mich durchströmt pure Nostalgie beim Gedanken an die süßen N-Küsse aus meiner Kindheit."
Schon erstaunlich, wem aller (etwa Kulturinstitutionen) man heute noch erklären muss, dass Sprache nicht starr, sondern dynamisch ist und die Gesellschaft nicht an einst als "harmlos" geltenden Begriffen festhalten kann. Und das gilt erst recht für schon immer diskriminierende Maskeraden.
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